Knackig jung wie die Königin
Freiburg, 30.03.2021
Altern erst ganz kurz vor dem Tod? Das können nur manche Termiten, was auch mit ihrem sozialen Status zusammenhängt. Die Freiburger Evolutionsbiologin und Ökologin Prof. Dr. Judith Korb untersucht, welche sozialen Faktoren und molekularen Prozesse einigen Termiten anhaltende Jugend gönnen und andere schnell altern und sterben lassen. Gerade hat sie den Band „Ageing and Sociality“ mit herausgegeben, der solche Phänomene im ganzen Tierreich beleuchtet. Die Mechanismen dauerhafter Jugend sind selbst bei Menschen vorhanden.
Die Königinnen mancher Termitenarten bleiben fit und fertil bis fast zum Lebensende – das können auch bis zu 20 Jahre sein. Foto: Pisut/stock.adobe.com
Ein Leben ohne Alterszipperlein? „Bei Königinnen und Königen der Termitenart Cryptotermes secundus setzt bis kurz vor dem Tod kein Altern ein“, sagt Judith Korb. Die Evolutionsbiologin und Ökologin vom Institut für Biologie I der Universität Freiburg gibt zusammen mit ihrem Regensburger Kollegen Prof. Dr. Jürgen Heinze den Band „Ageing and Sociality“ heraus. Darin beschreiben Forschende aus aller Welt, wie eine soziale Lebensweise das Altern von Insekten, Vögeln und Säugetieren beeinflusst. Auch bei Cryptotermes-Termiten, mit denen Korb arbeitet, entscheiden soziale Faktoren über anhaltende Jugendlichkeit: Sie ist ein königliches Privileg.
Die soziale Rolle wechseln
Molekular gleichen sich die Grundlagen aller Cryptotermes secundus (Csec), die einer Kolonie angehören. Doch Beobachtungen sprechen vorläufig dafür, dass Arbeiterinnen und Arbeitern eher graduell altern – sie welken wohl gleichmäßig dahin wie Menschen. Dagegen sind Königinnen fit und fertil bis fast zum Ende: gerade noch ein Ei gelegt, liegen sie plötzlich tot in der Kolonie. Kurz davor läuft ihre Proteinsynthese auf Hochtouren. Anscheinend funktioniert ein Großteil der neuen Proteine aber nicht oder wird durch oxidativen Stress zerstört. „Physiologisch geht es drunter und drüber – das ganze System scheint zusammenzubrechen“, sagt Korb. Mit zwei Mitarbeitern hat sie diese Ergebnisse jüngst als Preprint bei dem Fach-Server bioRxiv veröffentlicht.
Die Heimat von Csec ist Australien. Ihre Kolonien umfassen jeweils 200 bis 300 Individuen, die totipotent sind. Das bedeutet, dass sie ihre soziale Rolle wechseln können, erklärt die Evolutionsbiologin: „Alle Königinnen und Könige von Csec waren vorher einmal Arbeiterinnen und Arbeiter.“ Letztere werden etwa in kolonialer Not königlich, also fruchtbar, bekommen Flügel, schwärmen aus und gründen neue Kolonien. In denen sei das Sozialleben recht einfach, so Korb: „Für mich sind Csec-Kolonien keine Superorganismen.“ Solche bilden jedoch die Kolonien ihres zweiten Labortiers, Macrotermes bellicosus (Mbel). In ihrer Heimat Westafrika errichten diese Termiten riesige Kolonien mit mehreren Millionen Individuen und komplexer Sozialstruktur. Ihr Staat ist arbeitsteilig organisiert: Königin und König sind für die Fortpflanzung zuständig, Soldaten verteidigen die Kolonie, Arbeiter bauen am Hügel und schaffen Gras und Blätter heran. Bis zu 20.000 Eier produziert die Königin am Tag. „Mehr geht einfach nicht“, meint die Ökologin. „Die Königin legt ein Ei nach dem anderen.“ Die Arbeiter und Soldaten hingegen sind unwiderruflich steril: Ihre Totipotenz geht schon als Ei oder frühe Larve verloren.
Geduld und Züchterglück
Mbel-Regentinnen leben bis zu 20 Jahre lang, ihre Kolleginnen von Csec maximal 13. Werden königliche Termiten umso älter, je weniger totipotent das Arbeitervolk und je größer ihre Kolonien sind? Bei Csec leben Königliche und Arbeitende ähnlich lang, soweit es sich wegen ihres möglichen Rollentauschs sauber trennen lässt. Dagegen wird das Fußvolk von Mbel nur zwei bis drei Monate alt. Es stirbt deutlich jünger im Verhältnis zu den Königspaaren. Leben die Königlichen also proportional umso länger, je sozial ausgefeilter das Termiten-Staatsgebilde einer Art ist? „Es sieht so aus, als gäbe es diese Muster“, sagt Korb und deutet Vorsicht an. „Die Datenlage ist noch schwach.“
Weltweit erkunden nur wenige Forschergruppen die Alterung von Termiten, was auch mit den Insekten zu tun hat. „Es gibt keinen Trick, sie schneller altern zu lassen“, sagt die Expertin. Ihr 15-köpfiges Team muss manchmal reichlich Geduld aufbringen, um greise Königspaare untersuchen zu können. Auch Termiten-Kolonisierung gestaltet sich teils kompliziert: „Kolonien von Mbel lassen sich nicht verpflanzen.“ Sie züchten einen sensiblen Symbiosepilz, der sich Umzügen verweigert. Jede Laborkolonie geht zurück auf ein Königspärchen, das frisch gefangen und entspannt sein sollte: Der Transport aus Westafrika stresst viele Paare so, dass sie ihre Pilzzüchterlaune verlieren. Die pflegeleichtere Csec besiedelt in Australien tote Mangrovenbäume. „In denen verbringen sie ihr ganzes Leben“, erzählt Korb. Die Tiere geraten bei Transporten in abgesägten Holzblöcken nie aus dem Häuschen.
Konservierte Mechanismen der Alterung
Korbs Team erforscht auch, warum in der Evolution unterschiedlich komplexe Termitengesellschaften entstanden sind, warum es in den Tropen so viele Termitenarten gibt und wie sich die Insekten mit chemischen Duftstoffen verständigen. Korb ist Sprecherin von „so-long“, einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Gruppe, die den Anstoß für den aktuellen Sammelband gab. In dem dreht sich alles ums Altern im ganzen Tierreich. „Die Mechanismen dahinter scheinen über die Artengrenzen hinweg stark konserviert zu sein.“ Für einen Beitrag haben Forschende etwa Publikationen zu nordamerikanischen Vögeln, ihren sozialen Helfersystemen und Lebenserwartungen ausgewertet. Danach scheidet, salopp formuliert, unsoziales Federvieh offenbar früher dahin.
Doch zurück zu den Termiten: Anhand von Arten, deren Grad an Sozialität zwischen Mbel und Csec liegt, will Korb noch deutlicher herausarbeiten, wie Alterungsmuster und Sozialität zusammenhängen. Sie möchte die Alterungs- und Nichtalterungsprozesse von Mbel und Csec molekular genauer ergründen. Mit zwei ihrer Mitarbeiter hat sie 2018 gezeigt, dass arbeitende Mbel schnell altern, weil bei ihnen bestimmte bewegliche DNA-Elemente aktiv sind. Königspaare hemmen diese springenden Gene und hebeln so die Evolution aus: Andere Tiere bringt viel Sex, also hohe Fruchtbarkeit, üblicherweise schneller ins Grab.
Reizvoll wäre ebenfalls, das Geheimnis der fast lebenslangen Jugend von Csec-Königlichen vollends zu lüften. Sich quietschfidel vergnügen bis zum letzten oder vorletzten Tag klingt verlockend: Auch beim Menschen existieren die zuständigen Signalwege. „Sie sind aber anders verschaltet, die Prozesse noch lange nicht verstanden“, sagt die Ökologin und verweist auf eine spannende Frage: Wären genetische Eingriffe zum Erhalt der Jugend überhaupt ethisch vertretbar? „Möglich wären sie wahrscheinlich schon mit Genscheren – wenn wir wirklich einmal alle relevanten Prozesse verstanden hätten“, blickt Judith Korb weit nach vorne: „Aber bis dahin wird noch sehr, sehr viel Wasser die Dreisam herunterfließen.“
Jürgen Schickinger