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Kicken gegen Klischees

Der Deutsche Fußball-Bund fürchtete einst, dass Frauen beim Fußballspielen ihre Anmut einbüßten – heute kämpfen Spielerinnen gegen andere Formen der Ausgrenzung

Freiburg, 03.07.2018

Kicken gegen Klischees

Foto: Patrick Seeger

Technik, Spielanlage, Schnelligkeit: Der Frauenfußball hat sich stark professionalisiert, findet Nina Degele, Professorin am Institut für Soziologie der Universität Freiburg. Von einer Gleichbehandlung mit dem Männersport jedoch sieht Degele den Frauenfußball trotzdem noch sehr weit entfernt – und das gelte auch für Tennis, Leichtathletik und den Skisport. Mathias Heybrock hat sich mit der Forscherin darüber unterhalten, warum Frauen und Männer im Sport unterschiedlich behandelt werden, weshalb Frauen scheinbar ungern in den Zweikampf gehen und welche Länder in Sachen Gender fortschrittlicher sind als Deutschland.


In einem Forschungsprojekt hat Nina Degele herausgefunden, dass Zweikämpfe unter Spielerinnen oft abgepfiffen werden – das führe bei Frauen dazu, dass sie nicht mehr so stark attackieren. Foto: Patrick Seeger

Frau Degele, die WM ist in vollem Gange. Also die WM der Männer.

Nina Degele: Das müssen Sie nicht extra dazu sagen, das Wort „WM“ reicht vollkommen aus. Die WM der Frauen ist dann die Abweichung, die immer besonders betont werden muss. Und damit ist eigentlich schon alles gesagt.

Was ist damit gesagt?

Dass der Fußball, unser Nationalsport Nummer eins, sich von den Frauen abgrenzt. Schon in den Anfängen war das so, Ende des 19. Jahrhunderts. Fußball war sehr homosozial – also nur auf eine Gruppe zugeschnitten, nämlich auf die Männer. Er sollte ja auch zur „Wehrhaftigkeit“ beitragen. Später ging es so weit, dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den Frauen das Spielen verbot. 1955 war das.

Mit welcher Begründung?

Weil bei den Spielerinnen, so wurde es formuliert, „weibliche Anmut schwindet“ und „Körper und Seele Schaden erleiden“. Interessant ist der Zeitpunkt: Das Verbot kam ein Jahr, nachdem Deutschland zum ersten Mal die Weltmeisterschaft gewonnen hatte. Kaum ist die Kriegsschmach der Männer überwunden, müssen die Frauen zurück an den Herd. Erst 1970 hob man das Fußball-Verbot auf. Solche Untersagungen galten aber für einige Sportarten. Die US-Leichtathletin Kathrine Switzer zum Beispiel lief 1967 verbotenerweise den Boston-Marathon. Es hieß, Frauen drohe beim Laufen die Gebärmutter herauszufallen. Die Skispringerinnen mussten sich so etwas noch viel länger anhören.

Doch heute schauen wir Frauen in der Leichtathletik so selbstverständlich zu wie Männern.

Das stimmt, das gilt auch für Tennis und Skisport – auch wenn Frauen immer noch schlechter bezahlt werden. Sie gehören aber immer noch nicht richtig dazu. Noch heute heißt es in der Leichtathletik bei den Männern „Zehnkampf“. Frauen messen sich lediglich in sieben Disziplinen.

Weil sie weniger leistungsfähig sind?

Dann müsste auch der Marathon unterschiedlich lang sein. Das ist paradox. Nehmen Sie das Beispiel Biathlon: Die Frauen laufen kürzere Strecken, schießen dann aber genau wie die Männer. Gleiche Distanz, gleiche Bedingungen. Warum? In meinen Augen geht es nur darum, dass man einen Unterschied machen will und dass man Frauen und Männer eben nicht gleich behandelt. Und im Fußball wird das in Deutschland noch lange so bleiben.

Wie ist es in anderen Ländern?

In den USA ist Frauenfußball eine sehr beliebte und akzeptierte Sportart, vor allem in Colleges. Dort haben eher die Männer zu kämpfen – Fußball gilt abschätzig als „mädchenhaft“. Die Spieler der US-Nationalmannschaft verdienen trotzdem ein Vielfaches mehr als die US-Frauen, obwohl die Männer weniger Erfolg haben und seltener an Endrunden teilnehmen. In Norwegen verdienen Frauen und Männer in den Fußballnationalteams inzwischen gleich. Die Männer verhielten sich solidarisch, als die Frauen das einklagten. In Dänemark ist das ähnlich.

Warum geht das dort und bei uns nicht?

Das ist in Bezug auf Gender eine andere Kultur, die sind da einfach weiter. Und Fußball hat dort auch nicht dieselbe Bedeutung wie in Deutschland. Deren Teams sind eben nicht viermal Weltmeister geworden und dementsprechend dann auch nicht so dominant.


Korrupt, kommerzialisiert und überzüchtet: Nina Degele hält es nicht für wahrscheinlich, dass sich der Männerfußball in Deutschland in den nächsten 50 Jahren ändert. Foto: Ingeborg F. Lehmann

Doch auch in Deutschland hat sich der Frauenfußball entwickelt, oder?

Jein. Die Akzeptanz steigt, der DFB hat einiges getan, das stimmt. Ich denke an das Jahr 2011, die WM im eigenen Land, die Anstrengungen, dieses Turnier zum „Sommermärchen“ und zu einer attraktiven Veranstaltung zu machen. Für die Spielerinnen ist das allerdings durchaus zweischneidig. Fußball soll jetzt ein attraktiver Sport sein – mit attraktiven Frauen. Das setzt dann auch unter Beweiszwang, dass Fußball und Frausein überhaupt zusammen passen können. Einige DFB-Juniorinnen zogen sich für das Magazin „Playboy“ aus, um nachzuweisen, dass das alte Kampflesben-Image nicht mehr stimmt. Männer haben solche Probleme nicht. Die dürfen halt nicht homosexuell sein.

Ist die Homosexualität bei den Frauen nicht so stark tabuisiert?

Nein, Frausein und Fußball spielen ist schon Widerspruch genug. Da macht es den Braten auch nicht mehr fett, wenn eine Spielerin lesbisch ist.

Wie bewerten Sie den Frauenfußball rein sportlich gesehen?

Er ist in Sachen Technik, Spielanlage und Schnelligkeit professioneller geworden. Es heißt allerdings immer noch, dass die Frauen halt nicht so in die Zweikämpfe gehen. Ich glaube, dass das kein naturgegebener Unterschied ist. Das ist angelernt.

Wie meinen Sie das?

Vor einigen Jahren habe ich im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung Interviews mit Fußballerinnen aus dem Amateurbereich geführt. Die erzählten, jeder harte Zweikampf werde ihnen abgepfiffen. Schiedsrichter – und Schiedsrichterinnen – pfeifen da mehr oder weniger unbewusst. Und die Spielerinnen attackieren in Konsequenz nicht mehr so hart, sonst fliegen sie ja vom Platz.

Frauenfußball ist langsamer als Männerfußball. Korrekte Wahrnehmung?

Wohl schon. Wobei schnell ja relativ ist. Männer laufen ein 100-Meter-Rennen im Schnitt schneller als Frauen. Wenn Sie dann einen Frauen-Lauf gucken, fehlt aber der direkte Vergleich. Es fällt also gar nicht auf.

Der Männerfußball ist in einer Krise. Stichwort: „Kommerzialisierung“.

Ich kann leider keine Krise mit Veränderungspotenzial erkennen. Ich sehe nur Business as usual: Korruptio, Doping, autoritäre Regimes als WM-Gastgeber, ab 2026 wird die WM erstmals mit 48 anstatt 32 Teams stattfinden. Es wird immer noch mehr Geld heraus gequetscht.

Falls sich Krise doch einmal zeigt: Wäre der Frauenfußball die ehrlichere Alternative?

Das fände ich schön, halte es aber im Moment für nicht sehr wahrscheinlich. Ich fürchte, in Deutschland wird alles noch locker 40, 50 Jahre beim Alten bleiben.

Und wenn Sie einen Wunsch frei hätten?

Dann würde ich mir die gleiche Wertschätzung und Bezahlung der weiblichen und männlichen Profis auch hier wünschen.

Haben Sie auch selbst mal gespielt?

Ich habe als Kind gespielt. Ich fand den FFC Frankfurt toll; damals, als Birgit Prinz dort spielte. In Freiburg gehe ich ab und an zu den SC-Frauen. Zu den Männern nicht. Den überzüchteten Bundesligabetrieb der Männer will ich nicht auch noch unterstützen.