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Je stärker der Verlauf, desto schneller der Rückgang

Rechenmodelle liefern Einsichten zur Verbreitung von Epidemien wie dem Corona-Virus — und geben dadurch Handlungshinweise

Freiburg, 16.03.2020

Je stärker der Verlauf, desto schneller der Rückgang

Foto: Romolo Tavani/stock.adobe.com

Bereits seit den 1930er Jahren können Forschende mit mathematischen Modellen die Verbreitung von Epidemien verfolgen und vorhersagen. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Jens Timmer vom Physikalischen Institut der Universität Freiburg hat berechnet, wie die Epidemie SARS-CoV-2, auch Corona-Virus genannt, zeitlich verlaufen wird.

Seit knapp 90 Jahren liefern Rechenmodelle Einsichten in die Verbreitung von Epidemien. Foto: Romolo Tavani/stock.adobe.com

Wann klingen Epidemien ab? Wie schnell können infizierte Personen andere anstecken? Solche Fragen versuchen Forscherinnen und Forscher mithilfe der Mathematik, genauer anhand von Differentialgleichungen, zu beantworten. Seit knapp 90 Jahren liefern solche Rechenmodelle Einsichten in Epidemien, derzeit werden sie auch auf das Virus SARS-CoV-2 angewendet. Das einfachste wissenschaftliche Modell, um Verläufe von Krankheiten zu analysieren, geht davon aus, dass es drei Populationen gibt, erklärt Jens Timmer: die gesunden Personen, die sich anstecken können; dann die Infizierten, die die Gesunden anstecken können; und schließlich die Personen, die entweder an der Infektion gestorben oder genesen und nun dagegen immun sind. In darauf basierenden Modellen wiederum berücksichtigen die Forschenden auch Inkubationszeiten und die Möglichkeit von Wiederinfektionen nach einer Genesung.

Gleichungen beschreiben zeitliche Dynamik

Der Schwerpunkt von Timmers Forschung liegt auf der Systembiologie. Er stellt biologische Prozesse durch mathematische Formeln dar. So entschlüsselt der Freiburger Physiker im Forschungsnetzwerk LiSyM zusammen mit Medizinerinnen und Medizinern zum Beispiel die Signalwege von Leberzellen. Aufgrund der aktuellen Verbreitung des neuen Virus SARS-CoV-2 übersetzt Timmer zusammen mit seinen Doktoranden Lukas Refisch, Marcus Rosenblatt und Christian Tönsing die Personeneinteilung für Krankheiten in ein mathematisches Modell aus Differentialgleichungen — je eine für jede der drei Populationen. Mit diesen Gleichungen beschreiben die Forschenden, wie die aktuelle Epidemie zeitlich verläuft.

Ebola weniger gefährlich als AIDS

„Die Analyse dieser Gleichungen liefert für alle Krankheiten eine erste Einsicht“, sagt Timmer: Eine Epidemie ende nicht aufgrund des Mangels an infizierbaren Gesunden, sondern aufgrund eines Mangels an Infizierten. „Daraus folgt der Schluss: Eine lokale Infektion hat eine umso geringere Chance zu einer Pandemie, also zu einer globalen Epidemie, zu werden, je schneller sie tödlich verläuft. Oder – im positiven Fall – je schneller die Infizierten gesunden und sich Immunität einstellt.“ Daher sei das Ebola-Virus global gesehen weniger gefährlich als das AIDS auslösende HI-Virus, erklärt Timmer, da mit letzterem Infizierte jahrelang symptomfrei, aber infektiös sein könnten.

Exponentieller Verlauf bei SARS-CoV-2

Das mathematische Modell hat zwei Parameter. Der erste beschreibt, wie effizient die bereits Infizierten die Gesunden anstecken können – hier setzen die so wichtigen Maßnahmen zur Hygiene und Quarantäne an. Der zweite beschreibt, wie schnell Infizierte durch Tod oder Immunisierung bei der Berechnung nicht mehr berücksichtigt werden müssen. „Das Verhältnis dieser beiden Parameter bestimmt, wie hoch der Durchseuchungsgrad der Bevölkerung ist.“ Die tägliche Anzahl der Neuinfizierten ebenso wie die der Verstorbenen und der genesenen Immunisierten zeige einen glockenförmigen Verlauf, der zu Beginn ein exponentielles Verhalten habe. In dieser Phase lasse sich noch nichts über die spätere Schwere der Epidemie schlussfolgern.

„Für den Verlauf des Corona-Virus in China lässt sich feststellen, dass der glockenförmige Verlauf der täglichen Todesfälle sein Maximum deutlich hinter sich gelassen hat“, resümiert Timmer, „das Schlimmste ist damit überstanden.“ Die Zahlen und Modelle deuten darauf hin, dass die Inkubationszeit etwa eine Woche beträgt und die Sterberate bei ungefähr drei Prozent der Infizierten liegt und insbesondere Menschen älter als 70 Jahre mit geschwächtem Immunsystem betrifft. In Europa, wo die Epidemie etwa einen Monat später als in China ausgebrochen ist, befinde sich die Anzahl der Infizierten noch in der Phase des exponentiellen Wachstums. „Deshalb sind jetzt noch keine zuverlässigen Aussagen über die zukünftige Entwicklung möglich.“ Eine Empfehlung sei jedoch an den mathematischen Modellierungen bereits abzulesen: „Berechnungen, die Kolleginnen und Kollegen aus den USA über die Epidemie in Wuhan erstellt haben, legen nahe, dass eine Quarantäne von zwei Wochen nicht immer ausreichend ist. Die Modelle empfehlen eine Quarantänezeit von drei Wochen.“

Annette Kollefrath-Persch

 

Hinweise der Universität Freiburg zum Corona-Virus