Gelbe Gotteskritiker
Freiburg, 17.08.2017
Sie sind gelb, haben vier Finger an jeder Hand, Glubschaugen und eine ziemlich große Klappe: Die US-Fernsehserie „The Simpsons“ parodiert seit mehr als 25 Jahren Kultur, Gesellschaft und Politik – von der übereifrigen, aktivistischen Streberin Lisa Simpson über den machthungrigen Firmenhai Mr. Burns bis hin zu Reverend Timothy Lovejoy, der auch mal eine Kirche niederbrennt, um das Geld der Versicherung einzustreichen. Die Serie wird von Fans geliebt, von der Kritik gelobt und nun auch von der Forschung behandelt: Die Freiburger Theologen Dr. Johannes Heger und Dr. Thomas Jürgasch haben gemeinsam mit Prof. Dr. Milad Karimi von der Westfälischen Wilhelms-Universität einen Band herausgegeben, der sich mit der Frage beschäftigt, welche Rolle Religion im Universum der Simpsons spielt. Rimma Gerenstein hat mit den Theologen gesprochen.
Alle auf der Couch: Seit 25 Jahren kritisieren „The Simpsons“ Politik, Gesellschaft und Kultur – das macht Forscher neugierig. Foto: Sandra Meyndt
Herr Heger, Herr Jürgasch, üblicherweise beschäftigen sich Theologinnen und Theologen mit Jahrtausende alten Schriften und biblischen Figuren. Wie kamen Sie auf die Idee, eine Fernsehserie zu erforschen?
Johannes Heger: Bevor ich an die Universität ging, habe ich als Lehrer an einem Gymnasium gearbeitet. Da besteht das Alltagsgeschäft weniger aus dem Studium „alter Schriften“, sondern zunächst einmal darin, das Interesse der Schülerinnen und Schüler für religiöse Themen zu wecken. In diesem Kontext bin ich auf die Simpsons gestoßen: Ich habe die Serie immer gerne geschaut, und sie ist voll von religiösen Themen, die zugleich in den „alten Schriften“ verhandelt werden. Überhaupt ist Religion ein Motiv, das bei den Simpsons sehr häufig inszeniert wird – und zwar in vielen verschiedenen Variationen. Gemeinsam mit Thomas Jürgasch habe ich diese Gedanken dann weiterentwickelt.
Thomas Jürgasch: Es ist vielleicht außergewöhnlich, dass sich Theologen mit einer Fernsehserie beschäftigen, aber letztlich ist das, was wir machen, im eigentlichen Sinn konservativ: Die Kirchenväter schrieben vor, dass man sich als ernstzunehmender Theologe mit allen Erscheinungen seiner Zeit beschäftigen müsste. Wenn ich mir diese Auffassung heute zum Vorbild nehme, muss ich mich auch mit postmoderner Philosophie, mit der Geschichtswissenschaft, der Physik und der Literaturwissenschaft auseinandersetzen – und eben auch mit der Popkultur.
Welches Bild von Religion zeigen die Simpsons? Denkt man zum Beispiel an Reverend Timothy Lovejoy, ist das kein Priester, dessen Predigten man sich gerne anhören würde.
Jürgasch: Die Serie geht meistens sehr satirisch mit Religion um. Reverend Lovejoy entpuppt sich als langweiliger Typ, und weder Homer noch die Kinder wollen in die Kirche gehen. Reverend Elijah Hooper, das Sinnbild für einen Popkultur-Pfarrer, wird aber genauso veralbert. Er kriegt die Gemeinde rum, indem er dauernd Serien und Filme zitiert. Am Ende stellt sich aber heraus, dass das in Krisensituationen doch nicht tragend ist. Die Anbiederung der Kirche an die Popkultur wird also satirisch hinterfragt. Die Serie thematisiert aber auch andere zentrale Fragen, zum Beispiel wie sich Menschen Gott vorstellen. Da haben die Macher eine interessante Idee: Das Gesicht Gottes ist nie direkt zu sehen, sondern nur sein Rauschebart und ein weißes Gewand.
Heger: Eine unserer Schlüsselthesen ist, dass die Simpsons der heutigen postmodernen Gesellschaft und Kultur wie ein Spiegel dienen. Sie zeigen Religion so, wie sie heute in der realen Welt vorkommt – ob im Hinblick auf Inhalte oder auch auf religiöse Praxis. In dieser Spiegelung erkennt man nicht nur Aktualisierungen religiöser Traditionen, sondern auch zuhauf Momente, die zeigen, wie Religion verstanden, missverstanden oder auch gar nicht mehr gelebt wird. Für uns Theologen ist das interessant, denn die Simpsons legen so ihren Finger in verschiedene Wunden, ohne zu zeigen, wie ein positives Gegenmodell aussehen könnte.
Im gelben Universum ist die Religion also in einer Krise?
Heger: Das ist mir als These zu steil. Ich glaube eher, dass uns Momente gezeigt werden, in denen Menschen Religion als brüchig empfinden; Situationen, in denen es für Menschen immer schwieriger wird, den Glauben und dessen Relevanz für das moderne Leben miteinander zu verbinden.
Thomas Jürgasch (links) und Johannes Heger haben untersucht, welche Rolle die Religion im gelben Simpsons-Universum spielt. Foto: Samuel Dekempe
Diese brüchigen Momente werden immer satirisch dargestellt: Als die Stadt Springfield zerstört werden soll, lassen die Kirchgänger das Gotteshaus links liegen und flüchten stattdessen in die verratzte Kneipe „Moe’s Tavern“. Und Bart Simpsons Vorstellung von Religion lautet: „Ich lese Gebete und ignoriere sie – wie Gott.“ Stören Sie sich an der Blasphemie?
Jürgasch: Keinesfalls, und ich würde das auch nicht als Blasphemie bezeichnen. Es ist gute Satire, und sie ist dringend notwendig. Dem Theologen Karl Rahner zufolge müssen wir uns immer wieder vor Augen führen, dass das absolute Geheimnis Gottes nicht durch menschliche Vorstellungen ergründet werden kann. Diese Aufgabe übernimmt auch die Satire, denn sie ist eine Möglichkeit, überzogene Absolutheitsansprüche der Religion in ihre Schranken zu weisen und so auf dieses absolute Geheimnis hinzuweisen. Ohne Satire würde Religion ihren Kern verfehlen: Sie würde erstarren und liefe Gefahr, sich selbst als Konzept zu verabsolutieren. Man könnte sogar fragen, ob Religion ohne Satire überhaupt Religion sein kann.
Satire, und besonders Satire in der Religion, hat schon häufig für hitzige Debatten gesorgt und Menschen in einigen Fällen sogar das Leben gekostet. Wo sehen Sie die Grenzen der Satire?
Jürgasch: Die Grenzen liegen für mich dort, wo Satire respektlos wird – dann wird sie selbst gewalttätig und erntet oft Gewalt, wie zum Beispiel die Auseinandersetzungen um die Mohammed-Karikaturen zeigen. Es gibt einen Essay des Schriftstellers Umberto Eco, in dem er Kriterien der politischen Korrektheit erörtert. Er sagt: Den Maßstab geben diejenigen vor, die von der politischen Korrektheit betroffen sind. Wenn sich eine Putzfrau als Raumpflegerin besser betitelt fühlt, sollte man sie auch so nennen. Aber man sollte auch respektieren, dass sich eine kleiner gewachsene Person veralbert fühlt, wenn man sie als „vertikal herausgefordert“ bezeichnet. Diese Argumentation kann man auch auf Satire und Religion übertragen. Die Empfindungen der religiösen Menschen müssen also als eine Art Maßstab gelten – wenn sie sich verletzt fühlen, überschreitet Satire eine Grenze.
Aber wie kann man daraus einen Maßstab ableiten? Der eine findet die Darstellung Gottes bei den Simpsons lustig, die andere ist davon verletzt. Religiöse Menschen sind ja kein einheitlicher Block.
Heger: Selbstverständlich gibt es nicht nur in Religionsgemeinschaften Menschen, deren Humorgrenze eher niedriger angesiedelt ist. Aber daraus dürfen wir nicht den Schluss ziehen, dass Religion nicht satirisch behandelt werden darf – das wäre auch nicht im Sinne der Theologie, weil das letztlich hieße, Religion zu tabuisieren. Abgesehen davon stellt die Sehnsucht nach einem einheitlichen Empfinden in Bezug auf Grenzen von Satire eine Utopie dar. Je vielfältiger eine Gesellschaft wird, desto mehr unterliegen sie Aushandlungsprozessen. Man kann im Prinzip nur Indizien sammeln und beschreiben, was als erlaubte oder gelungene Satire empfunden wird und was nicht.
Warum sind die Simpsons für Sie ein Beispiel für gelungene Satire?
Heger: Zum einen, weil sie der Religion generell gewogen sind. Die Kritik setzt nicht bei den fundamentalen Glaubenswahrheiten an. Es gibt keine Folge, in der zum Beispiel die Dreifaltigkeit als Konzept lächerlich gemacht wird. Die Satire bezieht sich vielmehr auf die Fälle, in denen verquere Ausübungen und Interpretationen von Glauben gezeigt werden. Zum anderen verteilt die Serie ihre Kritik sehr ausgewogen auf sämtliche Glaubensgruppen. Weder die Christen noch die Juden, die Hindus, die Buddhisten oder die Muslime kommen besonders gut oder besonders schlecht weg.
Gibt es eine Szene, die das gut zum Ausdruck bringt?
Jürgasch: Ich muss da an die Folge denken, in der Homer in Israel das so genannte Jerusalem-Syndrom erleidet: Im „Heiligen Land“ fühlt er sich auf einmal zum Messias berufen. Er hält eine Rede im Felsendom, in der er darauf eingeht, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es zwischen den Religionen gibt. Ein Nenner ist schnell gefunden: Alle Religionen schreiben einem vor, wie man beten und was man essen soll. Manche dürfen keine Krustentiere essen, andere kein Schwein und wieder andere kein Rind. Aber was doch alle essen dürften, ist Hühnchen. Deswegen lautet seine Botschaft „peace and chicken“, Frieden und Hühnchen. Das finde ich bemerkenswert, weil es viele verschiedene Themen aufs Tableau bringt: Wie definieren wir uns als eine eigenständige Glaubensgemeinde, und wodurch grenzen wir uns von anderen ab? Ist es nicht ein bisschen seltsam, dass wir das über Speisevorschriften regeln möchten? Gleichzeitig weist die Szene darauf hin, dass interreligiöse Verständigung kein Hühnerfrikassee sein darf – die unterschiedlichen Religionen lassen sich eben nicht nur aufs Essen und Beten reduzieren.