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Ein Hörnchen, drei tote Züchter

Seit Kurzem wissen Forschende, dass Bornaviren auch Menschen befallen können – mit tödlichen Folgen

Freiburg, 08.02.2019

Sie sind teils heimisch, weitgehend unbekannt und gefährlich. Das wissen die Fachleute erst seit Kurzem über die Bornaviren. „Sie können tatsächlich Menschen infizieren“, sagt Prof. Dr. Martin Schwemmle vom Institut für Virologie der Universitätsklinik Freiburg. Nach humanen Bornavirus-Erkrankungen hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon in den 1980er Jahren intensiv gefahndet – und kaum mehr erwirkt als unnütze Aufregung. Doch nun steht fest: Bornaviren können lebensbedrohliche Hirnentzündungen verursachen. Elf humane Infektionen, davon neun tödliche, gelten als gesichert.

Gefährliche Nagetiere: Bunt- und Schönhörnchen, die aus Mittelamerika und Südostasien stammen, können ihre Züchter infizieren. Foto: Lillian/stock.adobe.com

Im vergangenen Jahr organisierte Martin Schwemmle eine internationale Konferenz in Freiburg, bei der Kolleginnen und Kollegen jüngste, teils unveröffentlichte Fälle präsentierten. „Das Risiko, sich anzustecken, ist wahrscheinlich extrem gering“, betont der Mediziner, der selbst an Bornaviren forscht. Die sagen sogar vielen naturwissenschaftlich Interessierten nichts. „In der Tiermedizin sind sie schon lange bekannt, besonders als Krankheiterreger bei Pferden.“ Infizierte Pferde sondern sich von Herden ab, wirken teilnahmslos. Sie zeigen Verhaltensauffälligkeiten und Anzeichen für Depressionen. Tierärztinnen und -ärzte gaben dem Symptombild 1894 den Namen Bornasche Krankheit: Sie befiel zahlreiche Pferde eines Kavallerieregiments, das im sächsischen Ort Borna stationiert war. Den Erreger, ein RNA-Virus, identifizierten Wissenschaftler 1935. Sie nannten es Bornavirus.

Ab Mitte der 1980er Jahre genoss es als „Virus, das traurig macht“ zeitweise gewissen Ruhm in den Medien. Virologinnen und Virologen hatten menschliche Proben untersucht. „Danach glaubten einige Wissenschaftler, dass Borna-Viren psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen verursachen können“, sagt Schwemmle. Doch er und viele seiner Kollegen hatten Zweifel. Ihre Studien zeigten: Die betreffenden Ergebnisse basierten auf verunreinigten Proben und unzuverlässigen Testmethoden. Diese Ansicht teilt auch das Robert Koch-Institut. Die Forschung zu menschlichen Bornaviren-Erkrankungen hinterließ verbrannte Erde. Die meisten Fachleute wandten sich ab.

Ein Schuss ins Blaue führt zur Ursache

Wie eine Bombe schlug darum die Entdeckung ein, dass Bornaviren doch Menschen infizieren können. „Eine verrückte Geschichte“, findet Prof. Dr. Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) in Greifswald, das viele Proben analysiert hat. Den Ball ins Rollen brachte vor fünf Jahren ein 72-Jähriger mit Kopfschmerzen, Bewegungs- und Bewusstseinsstörungen. „Als er ins Krankenhaus kam, sagte er den Ärzten, dass kürzlich zwei Bekannte von ihm gestorben sind“, erzählt Beer bei dem Freiburger Meeting. Alle drei Männer lebten keine 25 Kilometer auseinander in Sachsen-Anhalt. Sie züchteten exotische Schön- und Bunthörnchen und hatten einige der Tiere, die aus Mittelamerika und Südostasien stammen, untereinander getauscht.

Das Bornavirus beschrieben Ärzte zuerst bei Pferden, die sich nach einer Infizierung von der Herde absonderten und teilnahmslos wirkten. Foto: bmf-foto.de/stock.adobe.com

Als auch der dritte Züchter starb, sollte eines seiner Tiere amtlich untersucht werden. Ein Schuss ins Blaue und ein Glückstreffer: Das Hörnchen war positiv auf Bornaviren – als einziges in der Zucht des 72-Jährigen, wie sich später herausstellte. Das FLI sequenzierte das Erbgut des Virus: Es handelt sich um eine neue Art, ein bis dahin unbekanntes Hörnchen-Bornavirus. Doch wenig später wiesen FLI-Forschende erstmals das klassische „Pferde“-Bornavirus in Proben von anderen Patientinnen und Patienten mit Hirnentzündung nach. Beer und Prof. Dr. Armin Ensser vom Universitätsklinikum Erlangen stellten in Freiburg drei weitere aktuelle tödliche Hirnentzündungen aus Bayern vor: Ihre Tests wiesen auch bei diesen Betroffenen das klassische Bornavirus nach.

Das Immunsystem greift Hirnzellen an

„Es gibt zwei Arten von Bornaviren, die Menschen infizieren können“, fasst Schwemmle zusammen. Das Virus aus exotischen Hörnchen gefährdet höchstens Züchterinnen und Züchter. Sie sollten ihre Tiere unbedingt testen lassen. Dagegen sind Feldspitzmäuse, die Wirte des klassischen Bornavirus, in der hiesigen Gegend heimisch. Die Tiere können das Virus tragen, sofern sie in seinem Endemiegebiet leben, das Ost- und Süddeutschland, Österreich und die Schweiz umfasst. Üblicherweise suchen Feldspitzmäuse nicht die Nähe zum Menschen. Falls doch, rät Schwemmle, enge Kontakte sicherheitshalber zu meiden: „Die Ansteckungsgefahr ist sicherlich klein.“

Schwemmle interessieren die molekularen Hintergründe. Bornaviren töten nicht die Zellen, die von ihnen befallen werden. Das übernimmt das Immunsystem: Um den Erreger zu eliminieren, greift es infizierte Zellen an. Die sitzen mehrheitlich im Gehirn, sodass es zur Hirnentzündung kommt. Vorher können neurologische Ausfallerscheinungen auftreten. Bornaviren stören Signalwege in Nervenzellen, sagt Schwemmle: „Sie beschäftigen manche der beteiligten Enzyme dermaßen mit anderen Aufgaben, dass die ihren Job nicht mehr machen können.“ Schwemmle und seine Kollegen forschen an einigen Vorhaben gemeinsam weiter. Aufklärung ist dringend nötig: Über natürliche Übertragungswege von Bornaviren und den Verlauf der Hirnentzündungen wissen die Expertinnen und Experten noch sehr wenig.

Jürgen Schickinger