Die Resistenz der Rebe
Freiburg, 06.03.2020
Der Freiburger Biologe Prof. Dr. Hanns-Heinz Kassemeyer beschäftigt sich mit den Krankheiten der Weinrebe. Seine Arbeiten geben Einblick in die Infektionsmechanismen der Erreger, die eine Rebe befallen können – des Echten und Falschen Mehltaus. Sie zeigen aber auch Wege auf, die einen nachhaltigen Schutz der Weinrebe vor diesen Krankheiten erlauben.
Eindringling: Eine keimende Spore des Echten Mehltaus befällt eine Weinrebe. Foto: Nano Imaging Lab der Universität Basel, Staatliches Weinbauinstitut Freiburg
Im trinationalen Forschungsprojekt „Vitifutur – Nachhaltiger Weinbau am Oberrhein“ hat Hanns-Heinz Kassemeyer zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Nano Imaging Lab der Universität Basel an bildgebenden Verfahren gearbeitet. Diese führen vor Augen, was passiert, wenn eine Pflanze oder ihr Stamm erkrankt. Die Bilder zeigen, wie Sporen das Blatt befallen und wie die Pflanze darauf reagiert. Wilde Arten der Weinrebe sind nämlich in der Lage, Rettungsmaßnahmen gegen den Befall einzuleiten: Das erkrankte Blatt lassen diese Arten gezielt um den Erreger herum absterben. Dem Eindringling fehlt damit die Nahrung, um sich am Leben zu erhalten. Resistenz nennt sich dieses Verhalten der Pflanze.
Klassische, in der Oberrheinregion weit verbreitete und populäre Rebsorten wie Grau- oder Spätburgunder haben allerdings nur eine geringe Resistenz gegen Echten und Falschen Mehltau. Dementsprechend schnell müssen Winzerinnen und Winzer bei diesen klassischen Sorten Pflanzenschutzmittel einsetzen, um den Befall abwehren. Die Kreuzung dieser traditionellen Rebsorten mit Wildarten jedoch ergab neue Sorten, die resistent gegen die beiden Krankheiten sind – so genannte Piwis. Sie tragen ungewöhnliche, dem Weinpublikum noch eher unvertraute Namen wie Solaris, Regent oder Cabernet Carbon.
Abwehrkräfte statt Pflanzenschutzmitteln
„Winzer, die auf Piwis setzen, reduzieren den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um bis zu 75 Prozent“, erklärt Kassemeyer. „Weinbau und Umweltschutz müssen also kein Gegensatz sein". Damit nimmt er zugleich auf die gegenwärtige Debatte zwischen Umweltschützerinnen und Umweltschützern auf der einen, Landwirtinnen und Landwirten auf der anderen Seite Bezug. Letztere verwahren sich gegen zu strenge Auflagen beim Pflanzenschutz, weil sie dadurch ihre Existenz gefährdet sehen. Selbst die verbleibenden 25 Prozent lassen sich weiter senken, ist Kassemeyer überzeugt: „Ein Forschungsschwerpunkt von Vitifutur sind Sorten, die die unterschiedlichen Resistenzen der Ausgangssorten kombinieren.“ Im Ergebnis erhält man dann Reben mit einer Kombination von Resistenzmechanismen, die gegen die beiden Erreger gleich mehrere Barrieren aufbauen.
Die neue Sorte Cabernet Cantor weist eine hohe Resistenz gegen Echten und Falschen Mehltau auf. Foto: Staatliches Weinbauinstitut Freiburg
Neben der Erforschung der Erreger, die eine Rebe befallen können, und der Züchtung von resistenten Sorten gibt es noch eine dritte Möglichkeit, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu minimieren: computergestützte Prognosesysteme, mit deren Hilfe die Winzer den Verlauf und die Gefährlichkeit einer Epidemie des Echten und des Falschen Mehltaus erkennen können. „Wenn wir beispielsweise wissen, es kommen jetzt zehn feuchte Tage, in denen es gleichzeitig kälter wird, ist die Entwicklung der Erreger verzögert oder gehemmt“, erklärt der Freiburger Biologe. Pilze mögen nämlich weder Kälte noch langanhaltende Trockenheit – sie sterben dann ab. Steigt die Temperatur jedoch in einer Feuchtperiode, „steigt auch der Pilzdruck“. Dann aber kann man ganz gezielt Pflanzenschutzmittel einsetzen.
Dreifacher Gewinn
„Wir wissen jetzt dank der intensiven Forschung mehr über die Erreger von Krankheiten der Weinrebe und ihre Wachstumsbedingungen“, zieht Kassemeyer ein Fazit. „Wir züchten resistente Sorten und arbeiten an genaueren Prognosen. Wir stellen damit Instrumente zur Verfügung, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gegen Null tendieren zu lassen.“ Gewinnbringend ist das in mehrfacher Hinsicht: Die Umwelt profitiert, weil die Pflanzenschutzmittel oft nicht nur dem schädlichen Erreger, sondern auch nützlichen Insekten schadet. Die Winzer profitieren, weil sie Geld und Arbeitszeit sparen, wenn sie seltener mit dem Traktor in die Reben müssen. Weil zudem weniger Fahrten den Boden weniger stark verdichten, gewinnt auch dessen Struktur und das Bodenleben. Und je vielfältiger die Mikrobiologie des Bodens, desto höher die Qualität des auf ihm wachsenden Weins.
Weil damit der Konflikt zwischen Landbau- und Naturschutzinteressen entschärft wird, profitiert zu guter Letzt das gesellschaftliche Klima davon. Kassemeyer sieht einen wichtigen Sinn des Vitifutur-Abschluss-Symposiums, das Ende Oktober 2019 stattfand, auch darin, der Allgemeinheit zu zeigen, wie sehr wissenschaftliche Forschung dem Gemeinwohl dient: „In unseren misstrauischen Zeiten ist das leider kein Allgemeinwissen mehr.“
Abwehrreaktion der Weinrebe: Die Zellwand wird an der Eintrittsstelle des Echten Mehltaus verstärkt. Foto: Staatliches Weinbauinstitut Freiburg
Das Symposium sprach aber auch ganz direkt die Winzer an. „Bei uns setzen viele noch auf die klassischen Sorten“, sagt Kassemeyer. Deshalb sei es gut gewesen, mit Thomas Schaffner aus Bötzingen einen Weinbauer zu Gast zu haben, der neben klassischen Sorten auch die neuen resistenten Rebsorten anbaut. Seine anwesenden Kolleginnen und Kollegen habe er von deren Vorzügen überzeugen können – auch in geschmacklicher Hinsicht, wie die abschließende Verkostung bewiesen habe. Denn es nützt ja nichts, wenn eine neue Rebsorte bewundernswert resistent gegen Krankheiten ist, aber den Gaumen nicht überzeugt. „Da arbeiten wir hier im Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg mit unseren Önologinnen und Önologen zusammen“, erklärt Kassemeyer. Erst wenn sie grünes Licht geben, kommt eine Neuzüchtung auf den Markt.
Auf dem sind Piwis bislang ein Nischenprodukt. Die Nische aber wächst. Sorten wie der Regent findet man inzwischen auch im Supermarkt oder auf den Weinkarten von Restaurants. Im Elsass wird inzwischen ebenfalls stark auf Piwis gesetzt, kann Kassemeyer berichten: „Und wenn das Weintrinkerland Frankreich diese Sorten ernst nimmt, ist das ein starkes Zeichen.“
Mathias Heybrock
Vitifutur – Nachhaltiger Weinbau am Oberrhein
Das trinationale Forschungsprojekt „Vitifutur – Nachhaltiger Weinbau am Oberrhein“ wurde im Programm INTERREG V mit einem Gesamtvolumen von vier Millionen Euro gefördert. In Freiburg waren das Institut für Biologie II der Albert-Ludwigs-Universität sowie das Staatliche Weinbauinstitut daran beteiligt. Weitere Partner waren das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die Universität Strasbourg sowie das Institut National de la Recherche Agronomique Colmar. Aus der Schweiz hat das Nano Imaging Lab der Universität Basel mitgewirkt. Ende Oktober 2019 fand das Projekt mit einem großen Symposium seinen Abschluss.
www.vitifutur.net