Mut zu schwierigen Entscheidungen
Freiburg, 09.03.2017
Als 2009 in der Finanzkrise eine Firma nach der anderen dicht machte, baute Ralf Dieter die Belegschaft seines Unternehmens in China weiter aus – und wartete auf Aufträge. Die Entscheidung zur Offensive hätte auch schiefgehen können, sagt er heute. Aber der Markterfolg gibt ihm recht. Als Vorstandsvorsitzender der Dürr AG lenkt er seit mehr als zehn Jahren die Geschicke eines der weltweit führenden Konzerne im Maschinen- und Anlagenbau. Rimma Gerenstein hat ihn gefragt, nach welchem Prinzip er die über 15.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führt, warum er kein „Helikopter-Manager" sein will und weshalb er seine Alma Mater fördert.
„Etwas zurückgeben": Ralf Dieter, Vorstandsvorsitzender der Dürr AG, unterstützt seit Jahren die Universität Freiburg, an der er studiert hat. Foto: Klaus Polkowski
Herr Dieter, Sie haben in den 1980er Jahren Volkswirtschaftslehre in Freiburg studiert. Welche Vorstellungen hatten Sie damals von der Wirtschaft?
Ralf Dieter: Mein Bild beschränkte sich auf das, was ich von dem Ingenieurbüro meines Vaters und aus den Medien mitbekam. Ich konnte mir im Studium nicht wirklich vorstellen, wie eine große Firma funktioniert. Woran ich mich allerdings gut erinnern kann, ist eine Vorlesung von Ralf-Bodo Schmidt über Entscheidungsmodelle. Es ging um die Frage, was Menschen antreibt und motiviert und wie sich das mit den Zielen des Unternehmens in Einklang bringen lässt. Damals fand ich das ziemlich trocken, aber im Berufsleben habe ich dann verstanden, dass die Fähigkeit, mich in andere hineinzuversetzen, eine der wichtigsten Voraussetzungen für meine Arbeit ist.
Empathie macht also einen guten Vorstand aus?
Empathie spielt eine große Rolle, aber man muss auch sich selbst gut kennen. Ich glaube, dass ich realistisch einschätzen kann, was meine Stärken und Schwächen sind. Das bewahrt mich vor Trugschlüssen. Hinzu kommt, dass ein Vorstand schwierige Entscheidungen treffen muss, auch in Zeiten der Unsicherheit. Man kann nun mal nicht immer alles ausarbeiten und absichern. In meiner Zeit bei der Bundeswehr habe ich den Grundsatz „Führen durch Vorbild" kennengelernt. Das ist bis heute meine Einstellung. Ich verlange von meinen Leuten nur das, was ich selbst bereit bin zu geben. In der Finanzkrise bin ich auch Economy geflogen, da gab es keine Extras.
Sie mussten im Laufe Ihrer Karriere einige unbequeme Entscheidungen treffen. Als Sie bei der Schenck-Gruppe angefangen haben, stand eine Vollsanierung auf dem Programm.
Richtig, ich musste mehrere Hundert Stellen abbauen. Ein paar Jahre später habe ich die Entscheidung getroffen, dass sich Dürr von 800 Leuten trennt. Es ging nicht anders, die Firma war in einer Schieflage. Aber in solchen Situationen gehört es für mich dazu, dass ich mich nicht in meinem Büro verstecke, sondern den Leuten bei der Betriebsversammlung gegenübertrete. Wenn die Ersten anfangen zu weinen, ist das kein gutes Gefühl.
In der Finanzkrise ging der Jahresumsatz der Firma Dürr auf 1,1 Milliarden Euro zurück – jetzt liegt er bei fast vier Milliarden. Wie ist Ihnen das gelungen?
Ich habe mich in der Betriebsversammlung hingestellt und gesagt: „Das Wort Krise müssen wir aus dem Kopf streichen. Das ist keine Krise, das ist ein Abschwung." Für uns war diese Zeit eine Chance, uns auf den nächsten Aufschwung vorzubereiten. Und der kommt mit Sicherheit, es sei denn, man glaubt an den Weltuntergang. Also gingen wir nach China, das weniger von der Krise betroffen war, und bauten dort unser Unternehmen aus, das auf Lackiersysteme für die Automobilindustrie spezialisiert ist. Ich stellte dort Leute ein, ohne ausreichend Aufträge zu haben. Schon bevor die Nachfrage anzog, gaben wir Vollgas. Ich dachte mir: Wenn dieser Plan aufgeht, verzeichnen wir einen Erfolg. Wenn nicht, ziehe ich die Konsequenzen, und jemand anderes wird meinen Job übernehmen. Es ging gut: 2010 haben wir unseren Marktanteil in China in diesem Segment auf rund 80 Prozent gebracht.
Sie haben einmal gesagt: „Ich bin kein Manager, der Kaffee trinkt und sich die Zahlen anschaut." Was machen Sie stattdessen?
Im Prinzip könnte ich meinen Job überall erledigen, wo ich Internet und Telefon habe, aber das will ich nicht. Ich bin auch nicht der Typ, der Helikopter-Management betreibt: Man fliegt irgendwo hin, schaut sich ein Unternehmen zwei Stunden lang an und bekommt ein unrealistisches Bild, weil zuvor alles auf Vordermann gebracht und poliert worden ist. Mir ist es wichtig, nah an den Mitarbeitern zu sein, denn Stimmungen und Trends kriegt man nur vor Ort mit. Trotz der digitalen Revolution ist ein persönliches Gespräch durch nichts zu ersetzen. Wenn eine Firma eine Lackieranlage bei uns kauft, die zwischen 50 und 150 Millionen Euro kostet, will ich bei den Verhandlungen anwesend sein.
Wie oft kommt das vor?
Jedes Mal, wenn ich Urlaub habe. Meine Freizeit ist überschaubar, die meisten Wochenenden sind von der Arbeit belagert. Dafür kann ich mich auf Nachtflügen gut entspannen: Keiner kann mich anrufen, keiner kann mir E-Mails schreiben, und ich habe endlich Zeit zum Nachdenken.
Sie unterstützen die Universität Freiburg seit Jahren mit einem Deutschlandstipendium. Warum ist es Ihnen wichtig, Ihre Alma Mater zu fördern?
Ich habe damals mein Studium auf Kosten der Allgemeinheit absolviert. Ich will etwas zurückgeben, und das halte ich für normal. Was mich nachträglich in meiner Entscheidung bestärkt hat, ist ein Brief, den ich von einer Studentin bekommen habe. Sie bedankte sich für die Freiräume, die ihr das Stipendium ermögliche. Als ich Student war, musste ich mich selbst finanzieren – ich saß jede freie Minute im Laster. Ein Jahr vor meinem Examen starb mein Vater. Tagsüber wickelte ich also die Firma ab und verdiente Geld, nachts lernte ich auf die Prüfungen. Es macht mir Freude, zu wissen, dass ein junger Mensch heute weniger Stress hat als ich damals.