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Gute Geister in grünem Gewand

Eine Führung im Botanischen Garten zwischen Magie, Mythos und Medizin

Freiburg, 14.09.2017

Gute Geister in grünem Gewand

Foto: Patrick Seeger

Seit mehr als zehn Jahren bietet der Verein der Freunde und Förderer des Botanischen Gartens der Universität Freiburg Führungen an: An bis zu vier Terminen im Semester streifen Biologinnen und Biologen mit den Gästen durch die Außenanlagen und Gewächshäuser.

Als Hexe verkleidet zeigt die Biologin Henriette Gruber bei einer Führung im Botanischen Garten, welcher Nutzen sich aus Blüten und Blättern für das körperliche Wohlbefinden ziehen lässt.
Foto: Patrick Seeger


Ein glühend heißer Nachmittag im Botanischen Garten. Ein buckliges Mütterchen steht unter einer Birke, um den Kopf ein schwarzes Tuch. Sie hat ihren Reisigbesen umgedreht und stochert mit dem Stiel in Richtung des älteren Herrn, der vor ihr steht. „Von der Birke geht ein mächtiger Zauber aus, ein Schutzzauber", raunt sie.

Kurze Stille, dann geht ein Schmunzeln über die Gesichter der Anwesenden. Das Mütterchen richtet sich auf, bindet sich das Kopftuch wieder ab. Zum Vorschein kommen die rot gefärbten Haare von Dr. Henriette Gruber, einer jungen Frau in seidenem Sommerkleid. Sie lacht herzlich und erklärt: „Die Birke hatte schon in der germanischen Mythologie eine spirituelle Bedeutung. Aber Sie können den Tee aus Birkenblättern oder Birkensaft auch prima gegen Cellulite und geschwollene Beine trinken."

Eine Gruppe von 13 Freiburgerinnen und Freiburgern hat sich unter der Leitung der Biologin zur Führung „Hexen, Geister und Genetik – Heilpflanzen und die Wissenschaft" zusammengefunden. Die Führungen im Botanischen Garten haben Tradition, für Gruber ist es eine Premiere: Eigentlich ist sie Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Heute aber mimt sie die Kräuterhexe.

Schmecken, riechen, fühlen

Gruber schüttet eine zartgelbe Flüssigkeit aus einem Steinkrug in Plastikbecher und reicht sie herum. „Und, was schmecken Sie?" Eine ältere Dame mit pinkfarbener Bluse, Perlenkette und Sommerhut meldet sich zu Wort: „Das riecht und schmeckt nach Holunder." Die anderen stimmen ihr zu. Richtig, sagt Gruber: „Der Holunder ist eine der Hexenpflanzen schlechthin. In ihm wohnen gute Geister. Aber hängen Sie niemals Holunderzweige an die Wiege eines Kindes, dann holen es die Feen." Wie ernst es Gruber mit solchen lebenspraktischen Tipps meint, lässt sich nicht genau sagen. Medizin und Magie liegen eben nah beieinander. Auch beim Holunder, denn er wirkt außerdem schweißtreibend und stärkt die Abwehr. „Aber wissenschaftlich belegt ist das nicht."


Zartgelb, süß und duftend: Ein Getränk aus Holunderblüten und Zitronenmelisse fordert den Geschmackssinn der Teilnehmer.
Foto: Patrick Seeger

Die Gruppe zieht weiter zum „Sinnenbeet", wo Oregano, Lorbeer und Salbei einen betörenden Duft verströmen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer betasten die pelzigen Blätter des Salbeis und riechen anschließend an ihren Händen. „Der ist super gegen Schweißfüße", erklärt die Biologin. „Dafür ist das Thujon, ein ätherisches Öl, verantwortlich. Seine Wirkung war schon bekannt, bevor man überhaupt von Hexen und Zauberern sprach. Aber Vorsicht! Sie sollten niemals zu viel Salbeitee trinken, das Thujon wirkt dann giftig." Mehr als drei bis vier Tassen am Tag sollten es nicht sein.

Bewusstseinserweiternd und lecker

Ein weiteres Kraut, das in jedem Küchenschrank zu finden ist, verspricht ungeahnte Kräfte: „Der Lorbeer wirkt bewusstseinserweiternd, aber nur, wenn man ihn verbrennt, nicht, wenn Sie ihn in Ihre Spaghettisoße rühren", weiß Gruber zu berichten. „Die Priesterinnen des Orakels in Delphi haben auf Lorbeerblättern geschlafen und sich in den Rauch von verbrennenden Lorbeerblättern gesetzt, um dann die Zukunft vorauszusagen."

Die Scharfgabe hingegen ist aus Hexensicht eine eher langweilige Pflanze. „Sie hat keine sonderliche Zauberkraft", meint Gruber und will zur nächsten Pflanze übergehen. Doch ein älterer Herr widerspricht: „Bis ins 20. Jahrhundert hat man im Bayerischen Wald Scharfgabe ans Fenster gehängt, um die Pest vom Haus fernzuhalten." Konrad Müller ist Pestexperte und hat schon viele Bücher über den Schwarzen Tod geschrieben. Sein Wissen darüber reicht für mindestens eine weitere Führung im Botanischen Garten.

Zum Abschluss der Führung will Gruber selbst etwas hexen und hat dazu eine Kräutermischung mitgebracht, die traditionell zur Sommersonnenwende Mitte Juni verbrannt wird. Der längste Tag des Jahres ist ein mystisches Datum, das schon die Germanen und Kelten mit Festen begingen. Gruber verbrennt Eichenrinde, Salbei, Beifuß, Alant, Weihrauch und Myrrhe in einer kleinen metallenen Schüssel. Diese Mischung soll die Kraft der Sonne einfangen und auf die zweite Jahreshälfte einstimmen. Außerdem schützen die getrockneten Blätter und Harzkrümelchen Reisende vor drohendem Unglück. „Damit wird die Kraft der Kräuter an uns übertragen", erklärt Gruber: „Sie gehen heute maximal geschützt und gereinigt nach Hause."

Sonja Seidel


Den Botanischen Garten erkunden

Am 23. September 2017 findet im Botanischen Garten ein herbstlicher Spaziergang mit Gärtnermeister Dirk Rohleder statt. Treffpunkt ist um 14 Uhr am Haupteingang des Botanischen Gartens, Schänzlestraße 1, 79104 Freiburg. Der Eintritt beträgt drei Euro. Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre dürfen kostenlos teilnehmen. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
www.botanischer-garten.uni-freiburg.de/freunde-und-foerderer