Gast und Störfaktor
Freiburg, 04.12.2019
Sei es der Strand von La Barceloneta, die Sagrada Família oder der Park Güell — nicht zuletzt durch günstige Flugverbindungen und Übernachtungsplattformen wie Airbnb ist Barcelona ein beliebtes Ziel für zahlreiche Besucherinnen und Besucher. Die Menschen, die in der katalanischen Stadt leben, sehen das inzwischen kritisch. Ein Studierendengruppe des Masterstudiengangs Geographie des Globalen Wandels hat zusammen mit ihrem Professor Tim Freytag vor Ort untersucht, wie sich der Tourismus auf die einzelnen Stadtteile auswirkt. Alumni Freiburg und der Verband der Freunde der Albert-Ludwigs-Universität haben dieses Projekt gefördert.
Der Tourismus in Barcelona ist für die Stadt sowohl eine große Einnahmequelle als auch eine Herausforderung. Foto: Karsten Kurowski
Während die Forschung sehr genau zwischen verschiedenen Formen des Tourismus unterscheidet, sehen die Bewohnerinnen und Bewohner Barcelonas das nicht ganz so eng. „Tourism kills the city“ ist auf Aufklebern an Laternen lesen, dazu kreuzt ein Totenkopf zwei Selfiesticks. Und auf Demonstrationen wurden Schilder getragen, auf denen auf Katalanisch der Tourismus als Tod der Stadtquartiere angeprangert wurde. Tatsächlich hat Barcelona seit dem Jahr 1990 einen großen Anwuchs der Besucherzahlen verzeichnet: Gab es 1990 noch 1,7 Millionen Touristen pro Jahr, so sind es 2017 gut 32 Millionen gewesen. Für eine Stadt von 1,6 Millionen Einwohnern ist das nicht nur eine große Einnahmequelle, sondern stellt auch eine Herausforderung dar. „1992 war das Startsignal für den Tourismusboom“, sagt Prof. Dr. Tim Freytag vom Institut für Umweltsozialwissenschaften und Geographie der Universität Freiburg. Gemeinsam mit Clara Sofie Kramer aus seinem Team hat er im Sommersemester 2019 mit Studierenden des Masterstudiengangs Geographie des Globalen Wandels eine Projektstudie zur Touristifizierung in Barcelona durchgeführt. Doch, so schränkt Freytag ein, auch vor den Olympischen Spielen 1992 hatte sich die Stadt bereits transformiert und auch davor fand Gentrifizierung statt. Betroffen waren vor allem ehemalige industrielle Areale, wie etwa der Hafenbereich.
Neuer Trend: New Urban Tourism
Der Tourismus trägt zu diesem Prozess seinen Teil bei. Die Stadt ist gleichermaßen Ziel des Massentourismus, der vor allem um die Sagrada Família, den Park Güell und das so genannte gotische Viertel zu finden ist, aber auch von Tagestouristen, die mit den Kreuzfahrtschiffen anreisen sowie vom New Urban Tourism. Darunter versteht man, so Freytag, Touristen, die weniger an den klassischen Sehenswürdigkeiten interessiert sind als am jeweiligen Alltag einer Stadt und daher in Wohnquartieren übernachten, wo sich dieser am authentischsten anfühlt. Dieser neue urbane Tourismus, sagt der Freiburger Forscher, wäre ohne Billigflüge und Übernachtungsplattformen wie Airbnb nicht denkbar.
Besuch im Stadtteil Poble Sec: Die Studierenden konnten dank einer Förderung von Alumni Freiburg und des Verbands der Freunde der Albert-Ludwigs-Universität vor Ort forschen. Foto: Karsten Kurowski
Crossmediales Arbeiten
Hier die Touristifizierung der Stadt, dort der Tourismus als Wirtschaftsfaktor. Das waren die beiden Pole, die die zwanzig Studierende unmittelbar vor Ort erlebten, denn sie verbrachten für ihre Untersuchungen zwölf Tage in Barcelona. Alumni Freiburg und der Verband der Freunde der Albert-Ludwigs-Universität finanzierte diesen Aufenthalt mit. Derartige Feldforschungen sind für Geographen wissenschaftlicher Alltag. Ungewohnt war für die Studierenden jedoch, dass sie für die wissenschaftliche Arbeit in Barcelona und die Darstellung der Ergebnisse crossmedial arbeiten, also verschiedene Medienformen einsetzen sollten. Deshalb half Journalist Karsten Kurowski dabei, den Aufenthalt in Barcelona vorzubereiten.
Webauftritt mit Studienergebnissen
Mit der Präsentation von „reflectingBARCELONAtourism“ im November 2019 ging auch die gleichnamige Homepage mit den Studien über die Stadtviertel El Born, El Raval, La Barceloneta, Poble Sec und Vila de Gràcia online. Gegenüber einer üblichen Abschlussarbeit stand in diesem Fall die Kommunikation stärker im Fokus, sagt Freytag. Dass seine Studierenden eine große Affinität gegenüber Fotos und Videos haben, hat sich für den Professor bestätigt, ebenso ihre Fähigkeit, sich schnell in den journalistischen Medien einzuarbeiten und Interviews und Umfragen zu führen und zu filmen wie auch zu fotografieren. Die Kamera, so sagte Katharina Agena, die gemeinsam mit drei Kommilitonen das Stadtviertel El Raval untersuchte, schärfe den Sinn für Details.
Die Bewohner der katalanischen Stadt protestieren inzwischen gegen die gestiegene Zahl an Gästen. Foto: Karsten Kurowski
Verlust der Identität
Die Stadtteile mögen sich in ihrem Charakter unterscheiden ‒ so dominierte im ehemaligen Arbeiterviertel El Raval lange Kriminalität, Prostitution und Drogen, während La Barceloneta durch die Fischerei geprägt war – die Herangehensweise der Studierenden ähnelten sich: Sie sprachen mit Nachbarschaftsvereinen, Wissenschaftlern, Bewohnern und Touristen. Immer ging es um den Verlust der Identität eines Stadtteils und Gentrifizierung. In La Barceloneta kämpft man wegen des dortigen Strandes und der vielen Discos besonders gegen Lärm und Müll. Ferienwohnungen treiben die Mieten hoch, es kommt zu sozialen Verdrängungen. Von den 7.000 Wohnungen im Viertel, so haben Alina Grebe und Tobias Hertrich mit ihrer Gruppe recherchiert, sind 1.000 Airbnb-Wohnungen und weniger als zehn Prozent der Betreiber zahlen Steuern und Gebühren.
Dass die gemachten Fotos auch von einem Reiseblog stammen könnte, gehört zu den Paradoxien, mit denen die Studierenden konfrontiert waren. „Das ist ein schmaler Grat“, sagt Freytag. „Einerseits legen wir Wert auf ästhetisch ansprechende Bilder, andererseits möchten wir aber auch, dass der Betrachter über den Tourismus und das eigene Reisen nachdenkt.“ Ein weiteres Paradox war, dass die meisten der fünf Gruppen nach einem gemeinsamen Hostelaufenthalt in ihren Vierteln in Airbnb-Wohnungen unterkamen. Das dritte, dass viele Studierende Sympathien für die Demonstranten gegen den Massentourismus empfanden und somit in Konflikt mit der eigenen Rolle als auswärtige Besucherinnen und Besucher in der Stadt gerieten. Denn natürlich ist der Tourismus in Barcelona ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Deshalb bleibt die Frage: Welche Form von Tourismus ist erstrebenswert?
Annette Hoffmann