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Diese Zeit meines Lebens war einzigartig

Pinelopi Koujianou Goldberg, ehemalige Chefökonomin der Weltbank, im Interview

Freiburg, 13.02.2024

Pinelopi „Penny“ Koujianou Goldberg ist Wirtschaftsprofessorin an der Yale University und war Chefökonomin der Weltbank. Dort forschte sie unter anderem zu Einkommensverteilung und Armutsbekämpfung. Ihre jüngsten Arbeiten befassen sich mit dem Wiederaufleben des Protektionismus in den USA, mit Handel, Armut und Ungleichheit sowie mit der Diskriminierung von Frauen in Entwicklungsländern. Goldberg studierte von 1981 bis 1986 an der Universität Freiburg Volkswirtschaftslehre. Sie lebte während dieser Zeit in der Studentensiedlung „StuSi“ und in der Eschholzstraße.

Pinelopi Koujianou Goldberg bei ihrer Rede zum Dies universitatis 2023
der Univeristät Freiburg. Foto: Jürgen Gocke

Frau Goldberg, warum haben Sie sich damals für ein Studium an der Universität Freiburg entschieden?

Penny Goldberg: Am Anfang stand die Entscheidung, in Deutschland zu studieren. Für Menschen, die in einem kleinen Land wie Griechenland aufwachsen, ist es wichtig, eine Fremdsprache zu können und eine andere Kultur kennen zu lernen. So landeten meine drei Schwestern und ich alle auf dem Deutschen Gymnasium in Athen, dort wurde die eine Hälfte der Fächer auf Deutsch und die andere Hälfte auf Griechisch unterrichtet. Eigentlich hatten meine Eltern gar nichts mit Deutschland zu tun, sie haben auch selbst kein Deutsch gesprochen. Aber sie waren Ingenieure und bewunderten die deutsche Technik. Darüber hinaus bewunderte vor allem mein Vater die deutsche Kultur. Er betrachtete Deutschland immer als das Land der großen Philosophen, Komponisten und, in jüngerer Zeit, der großen Ingenieure. Nach der Schule bekam ich dann ein Stipendium – und musste mich nur noch für eine deutsche Universität entscheiden. Freiburg hatte den Ruf, sehr gute Wirtschaftswissenschaften anzubieten und war mit dem Namen Friedrich von Hayek verbunden. Außerdem wusste ich, dass Freiburg eine sehr schöne Stadt ist, und ich wollte an einem schönen Ort leben und studieren. Nicht zuletzt hatten meine Eltern dort auch Freunde. So war die Entscheidung ziemlich schnell klar.

„Mein Ratschlag lautet daher: Nutzt die Vorteile dieser Vielfalt, die man an Universitäten hat!“

Welchen Rat würden Sie Studierenden geben?

Das ist eine gute Frage. Ich habe in Freiburg sehr davon profitiert, andere Kulturen kennenzulernen. Obwohl Deutschland und Griechenland beide in Europa liegen, gab es vor allem damals noch große Unterschiede zwischen den Ländern. Meine Kommilitonen kamen außerdem aus verschiedenen Teilen Deutschlands, so dass ich auch etwas über die Unterschiede zwischen Süddeutschland und Norddeutschland erfahren konnte. Meine Freunde studierten Geschichte, Medizin oder Wirtschaft, sie hatten einen unterschiedlichen sozioökonomischem Hintergrund und sehr unterschiedliche Interessen. Schließlich gab es auch Leute aus anderen Ländern, wenn auch damals noch wenige. Diese Erfahrungen waren für mich unglaublich wertvoll. „Mein Ratschlag lautet daher: Nutzt die Vorteile dieser Vielfalt, die man an Universitäten hat!“ Das heißt nicht, dass man unbedingt andere Meinungen annehmen muss, aber es ist wertvoll, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und einen offenen Geist zu haben, vor allem in der heutigen Zeit. Ich möchte noch einen zweiten Punkt hervorheben: Ich war damals eine gute Studentin, die meisten Leute in meiner Studiengruppe waren das. Aber wenn wir uns trafen, haben wir nicht nur über den Unterrichtsstoff gesprochen, sondern auch über die Welt und unsere Fragen. Wir haben die großen Bücher gelesen, als zum Beispiel Adam Smith, Karl Marx, Keynes .... Wir waren nicht so sehr fixiert auf das Lehrbuch fürs nächste Jahr, eine gute Note und einen guten Job. Zumindest in den USA sind die Studierenden heute oft sehr gestresst, wenn es um ihre zukünftige Karriere geht, und ich verstehe das vollkommen. Aber auf der anderen Seite sind diese Jahre eine einzigartige Zeit, in der man tatsächlich seinen Interessen nachgehen kann. Deshalb sage ich meinen Studierenden oft, sie sollen sich nicht zu viel Stress wegen der Noten machen, sondern den Prozess des Lernens genießen. Das scheint ziemlich offensichtlich zu sein, ist aber alles andere als selbstverständlich.

Wie hat die Zeit in Freiburg Ihre Karriere geprägt?

Ich habe in Freiburg eine sehr gute Ausbildung erhalten. Damals sahen die Wirtschaftswissenschaften in Deutschland ganz anders aus als in den USA. Die meisten Menschen hätten also nicht gedacht, dass ein Studium in Deutschland eine gute Vorbereitung für ein Studium in den Vereinigten Staaten wäre. Aber ich würde sagen, mit meiner Ausbildung in Freiburg wäre ich an vielen Top-Universitäten in den USA zugelassen worden. Als ich dann dort war, hatte ich eine leichte Zeit in den Graduiertenkursen. Im beruflichen Bereich habe ich davon profitiert, eine umfassendere Sicht auf die Welt zu haben, andere Denkweisen zu kennen. Es gibt viele gute Leute in meinem Fachgebiet, aber ich war immer auch gut darin, das große Ganze im Blick zu haben. Ich denke, das liegt auch an der Art und Weise, wie ich aufgewachsen bin – und wie ich in Freiburg ausgebildet wurde. Es ist schwierig, erfolgreich Wirtschaftswissenschaften zu betreiben, wenn man sich nicht dafür interessiert, wie Politik und Gesellschaft funktionieren. Besonders wichtig war für mich in Freiburg meine Theatergruppe. Wir haben zwar nicht selbst gespielt, aber wir sind im ganzen Land und in der Schweiz herumgereist und haben uns einige der besten Avantgarde-Theater angesehen. Die Gruppe richtete sich in erster Linie an ausländische Studierende, damit sie die deutschsprachige Kultur kennenlernten. Von Freiburg aus sind wir zum Beispiel mit dem Zug nach Zürich oder Basel gefahren. Bevor wir ins Theater gingen, besuchten wir manchmal noch interessante Ausstellungen, und nach dem Theater haben wir in der Stadt gegessen und kamen erst spät in der Nacht zurück. Manchmal machten wir auch längere Exkursionen, fuhren zum Beispiel für zwei, drei Tage nach Köln. Das war wirklich großartig, auch weil wir viele andere Leute kennen lernten. Die meisten waren Studierende aus anderen europäischen Ländern, einige kamen aus den USA und Deutschland. Ich bin bis heute dankbar, dass ich dabei war.

„Diese Zeit meines Lebens war einzigartig, weil ich den Luxus hatte, bis Mitternacht oder ein Uhr nachts gemütlich zu Abend zu essen und dann einfach aufs Fahrrad zu steigen.“

Was war Ihr Lieblingsort zum Lernen in Freiburg?

Oh, auf jeden Fall die Bibliothek – obwohl sie damals nicht einmal so schön war wie heute. Ich habe manchmal alleine gelernt, aber wir haben uns auch in einer Lerngruppe getroffen. Danach sind wir dann in die Mensa gegangen oder haben gemeinsam gekocht.

Was ist Ihre schönste Erinnerung, wenn Sie an „Penny, die Studentin“ denken?

Ich denke, das ist unsere Theatergruppe. Aber ich habe viele schöne Erinnerungen an diese Zeit, zum Beispiel an die Dinnerpartys mit meinen Freund*innen. Auch hier haben wir gekocht und dann bis spät in die Nacht geredet. Diese Zeit meines Lebens war einzigartig, weil ich den Luxus hatte, bis Mitternacht oder ein Uhr nachts gemütlich zu Abend zu essen und dann einfach aufs Fahrrad zu steigen.

Welche Kontakte waren für Sie besonders wertvoll?

Für meine Entwicklung sicherlich meine Familie in Griechenland, meine Klassenkameraden und auf jeden Fall meine Studiengruppe in Freiburg. Ich habe es schon erwähnt: Wir hatten lange Gespräche, die weit über den Unterrichtsstoff hinausgingen. In Deutschland gibt es ja meist keine so starken Alumni-Netzwerke wie in den Vereinigten Staaten; ich hatte bis vor kurzem daher auch keinen Kontakt mehr zu meinen deutschen Kommiliton*innen. Kürzlich haben wir uns aber alle wiedergetroffen, wir haben jetzt mehr Zeit als nach dem Studium. Beruflich gesehen konnte ich die wertvollsten Kontakte knüpfen, als ich Universitätsstellen annahm, also zuerst in Princeton, dann in Yale und auch ein bisschen an der Columbia. Das ist ein relativ kleines Netzwerk von Wirtschaftswissenschaftlern, die in den Vereinigten Staaten leben. Beruflich haben sich diese Kontakte als die wertvollsten erwiesen – aber wenn es darum geht, wer mein Denken geprägt hat, würde ich auf jeden Fall auch die Zeit davor nennen, und definitiv all die Professor*innen, die mich von Freiburg bis Stanford unterrichtet haben.

„Ich wünsche mir deshalb vor allem, dass Freiburg seine hervorragende Qualität in Lehre und Forschung beibehält und weiter ausbaut.“

Wo sehen Sie Ihre Universität Freiburg im Jahr 2030? Was für eine Zukunft wünschen Sie ihr?

Ich sehe Universitäten generell als Institutionen des Lernens. Ich wünsche mir deshalb vor allem, dass Freiburg seine hervorragende Qualität in Lehre und Forschung beibehält und weiter ausbaut. In den Naturwissenschaften, vor allem in der Biologie, hat die Universität bereits einen weltweiten Ruf, auch die Sozialwissenschaften werden immer stärker. Es wäre großartig, die vorhandenen Stärken zu erhalten und weiterzuentwickeln. Gleichzeitig denke ich, dass Freiburg von seiner einzigartigen Lage profitieren kann. Es ist zwar eine kleine Stadt, die mit dem Flugzeug nicht so leicht zu erreichen ist, aber sie liegt genau zwischen drei Ländern, das macht sie international und für viele Studierende attraktiv. Außerdem wünsche ich mir, dass Freiburg, wie alle Universitäten, ein Ort ist, an dem Innovationen und neue Ideen entwickelt, gefördert und ausprobiert werden – an dem aber auch die Werte, die das Fundament unserer Gesellschaft bilden, hochgehalten werden, also Freiheit und freie Meinungsäußerung, Demokratie, Toleranz, auch Respekt für andere, Inklusion. Ich denke, es ist wichtiger denn je, dass die Universitäten Leuchttürme sind, die deutlich machen, was eine Zivilgesellschaft ist.

Pinelopi Koujianou Goldbergs Buchtipps
Claudia Goldin: Career and Family (Goldin is this year’s Nobel Prize winner in Economics), Princeton University Press, 2021.
Melissa Kearney: The Two-Parent Privilege: How Americans Stopped Getting Married and Started Falling Behind (controversial, but thought-provoking), University of Chicago Press, 2023.
Pinelopi Goldberg (with Greg Larson): The Unequal Effects of Globalization, MIT Press, 2023.

Pinelopi Koujianou Goldbergs Lieblingsort in New York City
Central Park und Metropolitan Museum of Art – „Was in New York City Mangelware ist, sind Grünflächen. Daher mag ich den Central Park sehr. Im Laufe meines Lebens habe ich dort sehr viel Zeit verbracht. Zunächst als ich nach New York gezogen bin, dann mit meinen Kindern, und jetzt mit meinem Hund. Und ich gehe gerne durch den Park ins Metropolitan Museum of Art, um dort jeweils eine Galerie zu besuchen - ansonten kann die Größe des Museums leicht überwältigend wirken. Und auch zurück gehe ich dann wieder durch den Park."

Das Interview führte Sonja Jost.

Kontakt:
Alumni Freiburg
Sonja Jost
sonja.jost@zv.uni-freiburg.de
+49 761 203 9653

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