Studierende konzipieren Ausstellung über die Faszination von Handschriften
Freiburg, 14.02.2023
Ein Text aus der Hand von Leonardo da Vinci samt Zeichnungen, ein „Scherzkanon“, den Ludwig van Beethoven einst notierte, etliche handschriftliche Gedichte und Briefe des alemannischen Mundartdichters Johann Peter Hebel: Die Sammlung des Basler Industriellen Karl Geigy-Hagenbach enthält rund 3000 Autographen, also handschriftliche Zeugnisse bedeutender Künstler, Erfinder, Politiker, die er Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in über 60 Jahren zusammentrug. Prof. Dr. Dieter Martin und Dr. Maximilian Bach vom Deutschen Seminar der Universität Freiburg haben eine Ausstellung zur Faszination von Handschriften und der Sammlung Geigy-Hagenbach entworfen. Sie wird nach der Eröffnung am 23. März 2023 in der Universitätsbibliothek Basel/Schweiz zu sehen sein. An Konzept und Katalog haben auch Masterstudierende im Fach Neuere Deutsche Literaturwissenschaft der Universität Freiburg mitgearbeitet.
Brief von Friedrich Schiller an Christian Gottfried Körner, Jena, 12. Juni 1794. Bildquelle: UB Basel, Autogr Geigy-Hagenbach 1066,
https://www.e-manuscripta.ch/bau/content/titleinfo/3172387
Dokumente herausragender Persönlichkeiten
„Eine Handschrift ist eine Berührungsreliquie“, sagt Bach: Sie vermittelt das Gefühl, in Kontakt zu stehen zu ihrem Schöpfer – und damit zu einer wichtigen Künstler*innenpersönlichkeit. „Geigy sammelte wohl aus der Neigung zur Kultur, das Sammeln war für ihn eine Möglichkeit, als Kaufmann seinem kulturellen Interesse nachzugehen.“ Da der 1866 geborene Geigy-Hagenbach über einen sehr langen Zeitraum sammelte und über ein erhebliches Vermögen aus der chemischen Industrie verfügte, ist seine Sammlung eine der bedeutendsten seiner Zeit. Alleine war er mit seiner Leidenschaft aber nicht: Die eigenhändigen Dokumente herausragender Persönlichkeiten übten seit Ende des 18. Jahrhunderts eine Faszination auf breite bildungsbürgerliche Kreise aus; das Sammeln war weit verbreitet.
„Die Ursprünge liegen aber schon in der Zeit der Reformation, als Zeitgenossen begannen, die Briefe wichtiger Reformatoren wie Luther und Melanchthon zu sammeln“, sagt Martin. Dabei habe sich das Interesse an deren Schriften mit der Faszination für die bedeutenden Persönlichkeiten gemischt. Tatsächlich könnten Handschriften auch heute noch aus philologischer Sicht interessant sein: „Man hofft, dort Spuren der Entstehung von Werken zu finden, also zum Beispiel Korrekturen oder verschiedene Versionen.“ Auch hier spiele die Vorstellung eine Rolle, der Persönlichkeit der Künstler*innen nahe zu sein: „So als würde man eine Autorin oder einen Autor bei der Arbeit beobachten“, sagt Bach.
Studierende erarbeiten Ausstellungskonzept und verfassten Texte für den Katalog
Für die Studierenden ihres Master-Seminars im Sommersemester 2022 sei es eine besondere Erfahrung gewesen, im Handschriften-Lesesaal der Freiburger Universitätsbibliothek mit den alten Texten zu arbeiten. „Das hat auch über die anfängliche Frustration hinweg geholfen, die gelegentlich aufkam, wenn erst mal gar nichts zu entziffern war“, sagt Bach. Anhand von etwa 20 ausgewählten Handschriften erarbeiteten die Studierenden und ihre beiden Dozenten ein Konzept für die Ausstellung und verfassten Texte für den Katalog – eine weitere wichtige Erfahrung, sagt Bach: „Auch andere Texte produzieren zu können als Hausarbeiten, ist eine geisteswissenschaftliche Schlüsselkompetenz.“
Die Ausstellung soll einerseits Erkenntnisse über den bedeutenden Sammler Geigy-Hagenbach vermitteln und seine Sammlung präsentieren, andererseits widmet sie sich kulturgeschichtlich der Faszination von Handschriften, der Geschichte des Sammelns und Fragen etwa nach Authentizität oder auch nach Fälschungen, die entstanden, als der Handel mit Handschriften wirtschaftliche Bedeutung bekam. Begleitend wird die Universitätsbibliothek Basel die Sammlungsgeschichte aufarbeiten und versuchen, die Herkunft aller Autographen zu ermitteln, die sich heute überwiegend im Besitz der Bibliothek befinden. Außerdem ist eine Online-Präsentation der gesamten Sammlung geplant.
Viele Studierende arbeiteten im Seminar zum ersten Mal mit Handschriften, sagt Martin: „Eins unserer Ziele war es, sie an Quellen und damit an die Erkenntnis heranzuführen, dass Texte eine Geschichte und unterschiedliche Aggregatzustände haben.“ Er beobachte ein neues Interesse an Überlieferungsgeschichte und Materialität in den Geisteswissenschaften. Und Bach ergänzt: „Vielleicht ist das eine Reaktion auf die Digitalisierung – die Handschrift wird in dem Moment als eigene Kulturform wiederentdeckt, in dem sie nicht mehr selbstverständlich ist.“
Die Ausstellung „Ein Pantheon auf Papier. Die universale Autographensammlung Karl Geigy-Hagenbach (1866–1949)“ ist vom 24. März 2023 bis zum 21. Juni 2023 in der Universitätsbibliothek Basel/Schweiz, Schönbeinstrasse 18-20, zu sehen.
Vernissage: Donnerstag, 23. März 2023, 18 Uhr, mit Ueli Dill, Maximilian Bach und Dieter Martin.
Themenabend: Mittwoch, 3. Mai 2023, 18 - 19.30 Uhr, Jäger und Sammler – ein Podiumsgespräch zum Faszinosum Autographen mit Vinzenz Brändle («Schweizer Autogrammkönig»), Alain Claude Sulzer (Basel) und PD Dr. Irmgard Wirtz Eybl (Schweizerisches Literaturarchiv, Bern).
Finissage und Abschluss des Transkribier-Wettbewerbs: Mittwoch, 21. Juni 2023, 18 Uhr, mit Ueli Dill, Maximilian Bach und Dieter Martin.
Der Ausstellungskatalog „Ein Pantheon auf Papier“ erscheint am 13. März 2023 in gedruckter Form und als Open-Access-Publikation: https://schwabe.ch/Ein-Pantheon-auf-Papier-978-3-7965-4722-5.
Online-Präsentation: Die eigenständige Online-Präsentation der Sammlung Geigy-Hagenbach ist noch im Aufbau. Zahlreiche Sammlungsstücke stehen aber bereits online über das Portal e-Manuscripta zur Verfügung: https://www.e-manuscripta.ch/bau/content/titleinfo/836306
Hier können Nutzer*innen auch mithelfen und selbst Handschriften transkribieren.