„In der Vielfalt der Fächer und ihrer Verbindung liegt das Geheimnis für die Leistungskraft der Universität“
Freiburg, 11.10.2023
Prof. Dr. Peter-André Alt kennt Wissenschaftssystem und Universitäten wie kaum ein*e andere*r. Er ist Literaturwissenschaftler, war Präsident der Freien Universität Berlin und bis vor wenigen Monaten Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Aktuell baut er die neue Wübben-Wissenschaftsstiftung in Berlin auf. Thomas Goebel sprach mit ihm über Gegenwart und Zukunft der Universitäten.
Prof. Dr. Peter-André Alt, Foto: David Ausserhofer
Herr Alt, Sie haben als Präsident der Hochschulrektorenkonferenz ein Buch mit dem Titel „Exzellent!? Zur Lage der deutschen Universität“ geschrieben. Wie ist denn die aktuelle Lage?
Es gibt keinen Grund zu länglichen Klagen. Die Finanzierung könnte besser sein, ist aber auch nicht schlecht: In einer Mischung aus Dauermitteln und Wettbewerb haben die Universitäten durchaus Handlungsräume. Zugleich birgt die ständige wettbewerbliche Situation, in der sich Universitäten befinden, aber auch ein Problem: Sie können sich über Drittmittel zusätzliche Optionen für Personalentwicklung und Forschungsprojekte verschaffen, allerdings nicht dauerhaft damit planen. Darüber hinaus kann man feststellen, dass es den deutschen Universitäten zuweilen an Selbstbewusstsein fehlt. Das schließt im Wortsinn ein, dass sie nicht genau zu wissen scheinen, wofür sie stehen und was sie stark macht.
Und was macht die Universitäten stark?
Das ist bei über vierhundert sehr unterschiedlichen Hochschulen in Deutschland nicht pauschal zu sagen… Ich denke, es ist eine gute Mischung aus Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Die Universitäten sind durch viele Reformprozesse gegangen, die nicht alle positiv waren, sie aber doch gestärkt haben – sie haben sich immer wieder auch in Krisen als lebendig und handlungsfähig erwiesen. Nicht zuletzt sind die Universitäten die Orte, an denen die größte Vielfalt an Fachdisziplinen zusammenkommt und idealerweise zusammenwirkt, das unterscheidet sie von den exzellenten außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die es in Deutschland gibt. Und die Universitäten sind die Zukunft, weil sie die Jugend haben, die Studierenden, die Doktorandinnen und Doktoranden. Mit dieser großen Ressource müssen die Universitäten sorgsam umgehen, Studierende müssen gefördert und motiviert werden und planbar ihre Karriere gestalten können, wenn sie in die Wissenschaft wollen.
Sie nennen die Universität eine „schwierige Institution“, der es aber besser gehe, als vermutet…
Das habe ich aus der Perspektive der Leitung gesagt. Die Universität ist deswegen eine schwierige Institution, weil sie viele selbstbewusste Mitglieder hat, die nicht immer deckungsgleiche Interessen verfolgen. Alle wollen beteiligt sein, zugleich gibt es manchmal aber auch eine Neigung zum Exzentrischen, zum Eigensinn – das sind oft wichtige Eigenschaften für exzellente Forschung, sie können aber im Soziotop der Universität auch schwierig sein, etwa wenn es um die Bewältigung übergreifender gemeinsamer Aufgaben geht. Außerdem sind Universitäten, wie alle großen Einrichtungen, strukturkonservativ: Große Tanker lassen sich zunächst ungern auf neue Kurse ein. Wenn eine Veränderung ansteht, ruft immer jemand den Untergang des Abendlandes aus. Da gilt es, sich mit denen zu verbünden, die auf die Reise gehen wollen, und die anderen zu überzeugen.
Was ist aus Ihrer Sicht für Universitäten wichtig, um sich gut für die Zukunft aufzustellen?
Die Universitäten sollten das Thema Zukunft in ihrer Planung und Struktur besser integrieren. Das betrifft meines Erachtens vor allem die Personalentwicklung. Es reicht nicht mehr, eine Professur auszuschreiben und zu warten, wer sich bewirbt. Wir müssen aktiver suchen, auch international, und Menschen anziehen. Das heißt auch zu überlegen, was attraktive Arbeitsbedingungen sind. Und wir brauchen, wie schon angesprochen, mehr Planungssicherheit für Jüngere, vor allem in der Post-Doc-Phase. Deshalb wünsche ich mir mehr Tenure-Track-Professuren, die dann in eine Dauerstelle einmünden, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Wir brauchen insgesamt eine neue Berufungskultur, die davon ausgeht, dass sich auch die Universitäten mit ihren spezifischen Stärken bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bewerben, nicht nur umgekehrt.
Als Stärken einer Universität nennen sie Freiheit und Vielfalt, die sozusagen ihren Wesenskern ausmachen. Was bedeutet das, gerade für eine Volluniversität wie Freiburg?
Freiheit und Vielfalt stehen in einem produktiven Wechselverhältnis – man muss aber auch dafür sorgen, dass dieses sich entfalten kann. Freiheit ist natürlich die Voraussetzung für wissenschaftliche Tätigkeit. Offenheit und Vielfalt machen das akademische Milieu reichhaltiger. Diversität ist mehr als ein Selbstzweck, sie ist eine wichtige Triebkraft einer Universität. Und die Vielfalt der Fächer, Stichwort Volluniversität, ist deren Basis – nur hier kommt ein riesiges Spektrum von Ägyptologie bis Zoologie zusammen. Das Großartigste an der Universität ist, dass sie unterschiedliche Fächer zu einem gemeinsamen Arbeitsprogramm führen kann. Humboldt nennt das mit einer für ihn typischen leisen Formulierung das „Zusammenwirken“. Aber dafür muss man etwas tun.
Wie und wo gelingt dieses „Zusammenwirken“?
Diese existenzielle Kooperation muss aktiviert werden, sonst besteht die Gefahr, dass nichts passiert, dass die Fächer sich isolieren und abgrenzen. Das Zusammenwirken gelingt vor allem bei den großen Themen unserer Gegenwart wie Nachhaltigkeit und Klimawandel, in der medizinischen Versorgung, der Immunologie und Genetik, bei der Entwicklung unserer Gebäude und Städte, bei Biodiversität oder Künstlicher Intelligenz – wo wir auch hinschauen, brauchen wir Expertisen aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen. In der Vielfalt der Fächer und ihrer Verbindung liegt das Geheimnis für die Leistungskraft der Universität.
Feierliche Eröffnung des Akademischen Jahres 2023/2024 mit Festvortrag von Prof. Dr. Peter-André Alt: „Akademische Freiheit und universitäre Organisation: Zwei verschiedene Welten?“, Podiumsdiskussion sowie Präsentation von Beiträgen des Essay-Wettbewerbs „Zukunftsuniversität Freiburg – Studieren, Forschen und Arbeiten im Jahr 2030“.
Mittwoch, 18. Oktober 2023, Festakt mit anschließender Preisverleihung, von 10 Uhr bis 13 Uhr, Paulussaal (Festakt) und Pauluskirche (Preisverleihung)
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