Am Apparat
Freiburg, 08.01.2021
Rempartstraße 11, ein nüchterner Büroraum im zweiten Stock, weiße Wände, Teppichboden. Dieter Nutto sitzt am Rechner. Seine Finger streichen sanft über das untere Ende der Tastatur. Alles still, kein Klackern ist zu hören. Nutto schaut bei der Arbeit weder auf seine Finger noch auf den Bildschirm, der vor ihm auf dem Tisch steht. Sein Blick bleibt irgendwo im Raum hängen. Nutto braucht den Monitor nicht. Er ist blind. Seit 15 Jahren arbeitet der 61-Jährige in der Telefonvermittlung der Albert-Ludwigs-Universität. Er nimmt ganztags Anrufe an, die mit Freiburger Vorwahl unter der 203-0 eingehen, und leitet sie an die richtige Abteilung und die richtigen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner weiter.
Manche nörgeln, andere haben kuriose Anfragen, doch die meisten sind freundlich: Seit 15 Jahren vermittelt Dieter Nutto Anrufe, die an der Universität Freiburg eingehen.
Foto: Patrick Seeger
Wenn Dieter Nutto seinen Rechner hochfahren lässt, startet automatisch das Screenreader-Programm. Es übertrage jeden Text über Kopfhörer oder die Braillezeile seiner Tastatur, auf der sich klitzekleine Punkte auf und ab bewegen, erklärt Nutto. Sucht er zum Beispiel eine Nummer aus dem Telefonverzeichnis heraus, wird ihm diese unter seinen Fingerspitzen durchgegeben. „Nummern lese ich gerne mit den Fingern“, sagt er. „Längere Texte, wie zum Beispiel Mails, höre ich mir über die Sprachausgabe an. Das geht schneller.“ Seine Kollegin Beatrix Doucha schaltet sich ein. Sie sitzt einen Platz weiter, schaut herüber und sagt: „Ganz viele Nummern kann er ohnehin auswendig.“ Nutto lacht und erzählt, dass er früher, als er noch als Telefonist im Emmendinger Kreiskrankenhaus gearbeitet habe, tatsächlich alle Nummern wusste. „Rund 350 waren das. Die Uni hat aber mehrere Tausend.“ Und nein, die könne er sich nicht alle merken. Als er an der Uni als Telefonist angefangen habe, sei ihm schnell aufgefallen, dass er langsamer als seine Kollegen gewesen sei: „Die haben sich die wichtigsten Nummern einfach auf einen Zettel an den Bildschirm geklebt. Mir bringt das nichts, also musste ich pauken.“
Schulungen für die richtige Ausstattung
Geboren und aufgewachsen ist Nutto in Schelingen, einem 300-Einwohner-Dorf im Kaiserstuhl. Da es damals in der Nähe keine Schule für ihn gab, musste er schon im Alter von sechs Jahren in ein Internat für Blinde nach Heiligenbronn. Schwierig sei das für ihn gewesen. So früh weg von zu Hause. Mit 15 Jahren wechselte Nutto auf die Berufsfachschule in Stuttgart, wo er eine Ausbildung zum Telefonisten sowie zum Steno- und Phonotypisten machte. Eine richtige Berufswahl hatte er nicht. „Die Möglichkeiten für Blinde waren damals extrem eingeschränkt“, sagt er. Mit 18 Jahren trat er seine erste Stelle im Kreiskrankenhaus in Emmendingen an, wo er 22 Jahre lang, bis 1999, arbeitete. Danach stieg er in die Firma eines Freundes ein, die die Arbeitsplätze von Blinden und Sehbehinderten mit der nötigen Technik ausstattet. Nutto übernahm die Schulungen. Nach drei Jahren verließ er die Firma. Die Albert-Ludwigs-Universität wurde sein nächster Arbeitgeber.
Vorbei an kreuz und quer geparkten Fahrrädern
Jeden Morgen fährt er von Malterdingen, wo er mit seiner Familie wohnt, mit dem Bus nach Riegel, steigt dort in den Zug, fährt weiter nach Freiburg und läuft dann von der Straßenbahnhaltestelle am Stadttheater bis in die Rempartstraße. Mit einem weißen Blindenstock in der Hand tastet er sich an kreuz und quer geparkten Fahrrädern vorbei. Und das ohne Begleitung. Ihm sei es wichtig, alleine klarzukommen. In seinem Job ist Nutto sein Handicap nicht anzumerken. Das, was seine Kollegen mit einem Blick auf den Monitor erfassen, fragt er über einprogrammierte Tastenkombinationen ab. So navigiert er sich durchs System. So behält er den Überblick. Seine Arbeit mache ihm Freude, sagt er. Das Tempo, vor allem aber der Umgang mit den Leuten. „Mit manchen spricht man öfters. Da entwickelt sich dann am Telefon eine Bekanntschaft.“ Das gefalle ihm. Natürlich gebe es auch die anderen, die Nörglerinnen und Nörgler, denen es nicht schnell genug gehen könne. Aber die meisten Menschen, die man am Hörer habe, seien freundlich. Und ab und an auch kurios: Vor einiger Zeit etwa, erzählt Nutto, „rief ein Mann an, der der Wissenschaft einen Meteoriten aus seinem Garten zukommen lassen wollte“. Dem habe man erst zugehört und ihn dann an die Mineralogie vermittelt.
Stephanie Streif