Mit dem Handy zum Lieblingswaschmittel
Freiburg, 18.05.2017
Telocate, ein Start-up aus der Universität Freiburg, soll Menschen und Maschinen zu gewünschten Ausstellungsstücken, Messeständen, Produkten oder zu anderen Zielen führen – stets auf dem kürzesten Weg. Die Präzision sei besser als die vergleichbarer Systeme, sagen die Erfinder. Nutzerinnen und Nutzer benötigen lediglich ein handelsübliches Smartphone. Das Konzept überzeugt: 2017 hat die Technologiestiftung Biomed Telocate mit dem Freiburger Innovationspreis ausgezeichnet.
Das System soll Nutzer auf dem kürzesten Weg zu ihrem gewünschten Ziel führen – und es findet sich auch in Menschenmengen zurecht.
Foto: Fabian Höflinger/Telocate
Die Basistechnologie Telocate ASSIST ist eine Art GPS für Innenräume. Beim GPS berechnen Navigationsgeräte und Smartphones ihre Standorte mit Signalen, die sie von mehreren Satelliten auffangen. ASSIST verteilt die Aufgaben umgekehrt: Die Nutzer schicken mit Smartphones akustische Signale an kleine Empfänger, die Ankerknoten. Davon hängen mehrere in den betreffenden Räumen, üblicherweise an der Decke. Die Ankerknoten geben Signale an einen Server weiter. Er berechnet die Position jedes Nutzers und sendet sie ihm über das Funknetz zu. „Wir können sie auf zehn bis 20 Zentimeter genau lokalisieren", sagt Dr. Fabian Höflinger. „Andere Technologien erreichen in Gebäuden Genauigkeiten von höchstens drei bis fünf Metern."
Zielsicher zum Lieblingsprodukt: Das Smartphone schickt Signale an kleine Empfänger, die üblicherweise an der Decke angebracht sind. Diese Ankerknoten geben Signale an einen Server weiter. Er berechnet die Position jedes Nutzers und sendet sie ihm über das Funknetz zu.
Foto: Fabian Höflinger/Telocate
Höflinger und Dr. Johannes Wendeberg, die Geschäftsführer von Telocate, lernten sich an der Technischen Fakultät der Universität Freiburg kennen. Beide standen kurz vor dem Ende einer Dissertation über Indoor-Lokalisation. Mikrosystemtechniker Höflinger kam von der technischen Seite, Informatiker Wendeberg aus der Algorithmen-Ecke. Das passte fachlich und perspektivisch. Gemeinsam gründeten sie 2014 die Firma Telocate für Systeme zur Innenraumnavigation. „Wir haben bereits laufende Einnahmen", sagt Wendeberg.
Das System erkennt Echos
Das ASSIST-System sei präzise und vielseitig, betonen die Erfinder: Es kann Menschen durch verschlungene Messegelände, Museen, Supermärkte und ähnliche Labyrinthe führen, hin zum Lieblingswaschmittel, zum Stand des besten Bürstenherstellers oder zum ersehnten Kunstwerk. Vor dem Gemälde der Mona Lisa würde dann automatisch der passende Text im Audioguide erklingen, Menschen mit Rollatoren müssten nie mehr fürchten, plötzlich vor einer Treppe zu stehen, Pflegeroboter fänden in Heimen die richtigen Patientinnen und Patienten und Vergessliche in riesigen Tiefgaragen prompt zu ihrem Auto.
Selbst Getümmel vor der Mona Lisa würde ASSIST nicht stören, denn es nutzt auch Echos als Informationen. Die reichen aus, wenn Menschentrauben, Statuen oder Stellwände den Weg zwischen Sender und Empfänger verstellen, sagt Höflinger, „Unser System arbeitet mit Ultraschall." Der breitet sich vergleichsweise langsam aus, sodass die Zeitabstände zwischen Echos und Tönen recht groß sind. ASSIST kann beide auseinander halten. „Das System erkennt, was ein Echo ist", sagt Höflinger, „Mit anderen Technologien ist das nicht so einfach möglich." Radiowellen, auf denen GPS basiert, bewegen sich schlicht zu schnell. Auf kurze Distanzen sind Signale und Echos nicht zu unterscheiden, sondern wirrer Wellensalat.
Sichere Orientierung für Blinde
Telocate hat ein Testsystem auf dem Freiburger Messegelände installiert. „Der Ultraschall stört Hunde nicht", sagt Wendeberg. Und ASSIST leitet blinde Menschen zuverlässig durch Messehallen, deren glatte Böden kaum Anhaltspunkte zur Orientierung bieten. Bald muss sich das System im Alltag bewähren. Angestellte einer großen Gastronomiekette sollen damit in Kürze die Buzzer orten, die Gäste mit zum Tisch nehmen, während sie auf ihre Bestellung warten. Auch eine Supermarktkette zeigt Interesse. Sie will „heat maps" zur Ortung von Einkaufswagen erstellen, die Auskunft darüber gibt, wie lange sich Kundinnen und Kunden wo aufhalten.
Telocate hat inzwischen 15 Mitarbeiter. ASSIST steht vor der Marktreife. „Gerade passiert der letzte Schritt", freut sich Höflinger. Insgesamt wird die Entwicklung knapp drei Millionen Euro gekostet haben, schätzt er. Das Duo hat vor der Firmengründung kaufmännische Lehrgänge beim Gründerbüro der Universität Freiburg belegt. Wertvolle Unterstützung kam auch von ihren Doktorvätern, Prof. Dr. Leonard Reindl und Prof. Dr. Christian Schindelhauer. Dennoch hat Höflinger, der drei Jahre Industrieerfahrung besitzt, die Mühen der Betriebswirtschaft und Personalführung unterschätzt: „Es war ein Sprung ins kalte Wasser."
Wenn Goliath David kopiert
Doch von Reue keine Spur. Höflinger und Wendeberg gefällt die Flexibilität als Unternehmer. Neben ihrer Basistechnologie wollen sie Systeme für besondere Anforderungen ausbauen, etwa solche, die sich von allein kalibrieren. Dem Team ist klar, dass es mit den Riesen der IT-Branche konkurriert. „Die werden uns irgendwann kopieren, wenn wir erfolgreich sind", ahnt Höflinger. Den Kampf David gegen Goliath wollen die Freiburger aber vermeiden: „Dann werden wird lieber verkaufen." Sofern der Preis stimmt, wäre auch das kein Anlass zur Traurigkeit.
Jürgen Schickinger