Leben retten, Kosten sparen
Freiburg, 25.01.2019
33.000 Menschen sterben jährlich in der Europäischen Union an antibiotikaresistenten Keimen. „Drei von vier Betroffenen stecken sich in Kliniken an“, sagt Dr. Mark Keller von der SpinDiag GmbH. Die Ausgründung aus dem Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Universität Freiburg und der Hahn-Schickard-Gesellschaft will die Infektionen möglichst verhindern. Doch bisher dauern entsprechende Tests teils mehrere Tage – in dieser Zeit breiten sich die resistenten Keime mehr und mehr in den Kliniken aus. Dagegen liefert das Testsystem von SpinDiag solche Ergebnisse schon in 30 Minuten.
33.000 Menschen sterben jährlich in der Europäischen Union an antibiotikaresistenten Keimen – drei von vier Betroffenen stecken sich in Kliniken an.
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Das einfache, preiswerte System könnte Leben retten und Geld sparen, betont Keller: „Wir erwarten, dass wir im Jahr 2020 die EU-Zulassung bekommen.“ Dafür läuft im nächsten Jahr eine multizentrische Studie mit der SpinDiag-Technologie. „Danach müssen wir sie noch bewerben und verkaufen.“ Das sollte ein Leichtes sein: Am Anfang der Entwicklung stand eine Marktbefragung bei Gesundheitseinrichtungen zu den möglichen Einsatzgebieten der Technologie: Am stärksten, gaben Kliniken und Pflegeheime an, dränge es, Trägerinnen und Träger resistenter Bakterien schnell identifizieren und isolieren zu können. So wären entsprechende Infektionszahlen einfach zu senken. Deutschland steht mit jährlich rund 2.400 Fällen im europäischen Vergleich noch ganz gut da. Doch die Misere hat überall eine steigende Tendenz: Die Infektionen und Todesfälle durch Antibiotikaresistenzen haben sich seit 2007 verdoppelt.
Potenzielle Überträger sind 40 Prozent aller Neuaufnahmen in Krankenhäusern. Dazu gehören beispielsweise Dialysepflichtige, Menschen mit häufigen Kontakten zu Schweinen, Rindern und Geflügel oder auch Personen, die in den letzten sechs Monaten Antibiotika erhielten. Äußerlich lässt sich fast nie erkennen, wer tatsächlich resistente Keime mitbringt. Gewissheit schaffen nur Nachweistests. Die üblichen brauchen aber teils drei Tage. Solange müssten Kliniken, um ganz sicher zu gehen, ihre anderen Patientinnen und Patienten von den Verdachtspersonen fernhalten: Die echten Träger unter ihnen könnten in dieser Zeit sonst resistente Bakterien weitergeben – etwa durch gemeinsam benutzte Sanitäranlagen.
Disk rein und auf „Start“ drücken: Mark Keller präsentiert den Player, der das Ergebnis ausliest. Aktuell identifiziert das System 25 wichtige resistente Erreger. Foto: Thomas Kunz
Eine Zwickmühle zwischen Schutz und Kosten
Fernhalten bedeutet Isolation. Die verursacht enormen Aufwand, unter anderem etwa Einzelzimmer, eingeschränkter Zugang für Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und Angehörige, Schutzkittel und Einmalhandschuhe, tägliche Desinfektion der Wäsche und der persönlichen Gegenstände. Solche Maßnahmen kosten bei Intensivpatienten täglich mehr als 300 Euro, bei anderen 100 bis 200 Euro. „Doch nur fünf Prozent der Risikopersonen weisen tatsächlich resistente Erreger auf“, betont Keller, „Nur sie müssen in Isolation.“
Die Kliniken stecken in einer Zwickmühle: Sie müssen ihre Patienten schützen, doch wollen auch die Kosten niedrig halten. Viele müssen Kompromisse eingehen, die das Ansteckungsrisiko erhöhen. Am bedrohlichsten sind Infektionen durch resistente Erreger für Menschen mit stark geschwächtem oder unterdrücktem Immunsystem wie nach Transplantationen. „Durch unser System steigen die Sicherheit der Patienten und die Wirtschaftlichkeit immens“, sagt Keller. In der Hand hält er eine halbmondförmige Scheibe, rund einen Zentimeter dick und etwas größer als eine halbierte CD: „Das ist die Disk – sie ist smart und das Kernstück unserer Technologie.“
Zentrifugalkraft bringt die Proben in Fluss
An der geraden Seite der Disk befindet sich ein integrierter Standardtupfer für Patientenproben, quasi ein Ohrstäbchen, das nur einen Wattebausch hat. Damit können Pflegekräfte Abstriche bei Verdachtspersonen nehmen. Dann schieben die Anwenderinnen und Anwender den Tupfer ins Innere der Disk, verschließen sie und legen sie in ein Prozessierungsgerät ein, den Player. „Die Bedienung ist so leicht, dass Pflegekräfte alles allein machen können“, betont Keller. „Start“ gedrückt, schon rotiert die Disk im Player. Zentrifugalkräfte wirken auf die Scheibe, in der von außen schwach Mikrokammern und -kanälchen sichtbar sind. Aus bestimmten Kammern fließt eine Vorbereitungsflüssigkeit zur Probe. Das Gemisch verteilt sich über die Kanäle auf zwölf Kammern. Aktuell identifiziert das System 25 wichtige resistente Erreger, falls die Patientenprobe einen oder mehrere davon enthält.
Der Player liest das Ergebnis aus. Bei positiven Reaktionen entstehen Fluoreszenz-Lichtsignale. Die Position der Kammer und die Farbe, in der sie aufleuchtet, verraten, ob und welche resistenten Keime vorliegen. „Alle Ergebnisse gehen automatisch an das Krankenhaus-Informations-System“, sagt Keller. Schon eine halbe Stunde nach Diskeingabe können sich Ärzte die Befunde in der elektronischen Patientenakte anschauen. „Unsere Testreihe entspricht der Wunschliste der nationalen Referenzlabore in der EU“, hebt er hervor.
Die Disk ist das Kernstück der SpinDiag-Technologie: Mit dem Tupfer können Pflegekräfte Abstriche bei Verdachtspersonen nehmen. Foto: Thomas Kunz
Am Stammtisch wuchsen die Pläne
SpinDiag ging 2016 aus der IMTEK-Professur für Anwendungsentwicklung des Hahn-Schickard-Institutsleiters Prof. Dr. Roland Zengerle hervor. Zum Gründerteam gehören neben Produktmanager Keller noch Produktionsleiter Dominique Kosse, Geschäftsführer Dr. Daniel Mark, Technologiemanager Dr. Oliver Strohmeier, Biochemie-Experte Dr. Gregor Czilwik und Fluidik-Experte Dr. Frank Schwemmer. Das Sextett traf sich bereits in seiner Universitätszeit regelmäßig zum Stammtisch, erzählt Keller: „Wir wollten etwas mit unserer Technologie aufbauen.“ Zentrifugalmikrofluidik heißt das Prinzip, das durch Drehung Flüssigkeiten wie in der Disk durch winzige Kanälchen bewegt.
Derzeit passt SpinDiag das System an, damit es auch für weitere Anwendungen einsetzbar ist, etwa zur Diagnose sexuell übertragbarer Erkrankungen, resistenter Tuberkulose und anderer Atemwegserkrankungen. „Dazu wäre kein neuer Player nötig, sondern jeweils nur eine andere Disk“, erklärt Keller. „Technologisch läuft es bei uns im wörtlichen Sinne rund“, freut er sich. „Auch der positive Zuspruch aus den Kliniken macht uns viel Hoffnung.“ Nach der EU-Genehmigung peilt SpinDiag die Zulassung für den US-amerikanischen Markt an. Die Technologie sei durch viele Patente umfassend geschützt.
Jürgen Schickinger