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Hundert Euro darf’s kosten

Im „Design Lab“ entwickeln Studierende der Mikrosystemtechnik neue Produkte und basteln Prototypen

Freiburg, 09.08.2018

Hundert Euro darf’s kosten

Foto: Thomas Kunz

Fröhliches Stimmgewirr schwappt einem entgegen. Das Foyer von Gebäude 101 des Freiburger Instituts für Mikrosystemtechnik (IMTEK) empfängt mit Kongressatmosphäre: An den Wänden steht ein Dutzend Schautafeln. Davor liegen Schauobjekte, um die sich Menschen scharen und angeregt diskutieren. Sonderbar erscheinen manche ihrer Themen – schmerzlindernde Akupressur-Einlegesohlen, intelligente Bierdeckel, automatische Gießsysteme für trockene Blumenerde oder Äcker, Meldesysteme für neue Briefpost. Studierende des Masterstudiengangs Mikrosystemtechnik haben sich die Projekte im „MST Design Lab“ ausgedacht und Prototypen entwickelt.


Alle Geräte müssen sich selbst mit Energie versorgen, die Materialkosten dürfen 100 Euro nicht überschreiten: Peter Woias (links) inspiziert einen Prototypen. Foto: Thomas Kunz

„Beim MST Design Lab geht es um praktische Lernerfahrung“, betont Prof. Dr. Peter Woias. Er organisiert das „Lab“ zum dritten Mal. Studierende gründen darin virtuelle Firmen, brüten Produktideen aus und setzen sie in handfeste Technik um. „Dafür haben sie ein Jahr Zeit“, sagt der Professor für die Konstruktion von Mikrosystemen. Weitere Vorgaben sind: Alle Geräte müssen sich selbst mit Energie versorgen, also energieautark sein. Die Materialien dürfen maximal 100 Euro kosten. „Aber Sponsoring ist erlaubt“, sagt Woias.

Somit drängen die Teilnehmenden eher unstudentische Fragen: Existiert die Idee schon als Produkt? Gibt es einen Markt dafür? Wie organisiert man sich als Team, und wie lassen sich alle Vorgaben einhalten? Das Design-Lab endet mit der Präsentation im Foyer, die viele Gäste anlockt. Dazwischen inspiziert Woias die Prototypen. Er wird die Projekte abschließend bewerten: „Nicht alle erreichen immer alle Ziele.“ Theorie und Praxis sind zwei Paar Schuhe. Aber Entwicklerinnen und Entwickler müssen lernen, nicht gleich zu verzweifeln, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt.

Eine transparente Blende

Keinesfalls verzweifelt wirkt Denis Gebauer von „Smart Sun Protect“. Er hat mit Passar Bameri, Kai Mühlbach, Mark Schepperle und Jagan Srinivasan eine Sonnenblende für Autos gebaut, die nach Blender aussieht: Sie ist durchsichtig! „Bei Lichteinfall schaltet sie aber automatisch von transparent auf opak um“, erklärt Gebauer. Tatsächlich: Blitzartig trübt sie sich ein. Hintendran kommt weniger an als ein Zehntel der Lichtintensität und ein Hundertstel der UV-Strahlung. „Durch unsere Blende können Fahrerinnen und Fahrer direkt in die Mittagssonne schauen, ohne geblendet zu werden“, betont Gebauer stolz.


Die transparente Sonnenblende „Smart Sun Protect“ ist mit länglichen Flüssigkristallen ausgestattet, die bei Lichteinfall sofort opak werden. Foto: Thomas Kunz

Die milchige Trübung erzeugen längliche Flüssigkristalle. Sie machen bei Helligkeit dicht, legen sich quer wie Lamellen am Rollladen. Sonst stehen sie parallel und senkrecht. So kann zwischen den Kristallen Licht hindurch. „Das Prinzip gibt es bisher nur als Sichtschutz für Gebäude“, sagt Mark Schepperle. Jetzt, durch „Smart Sun Protect“, lassen sich alle Fahrzeugtypen damit nachrüsten. Optimal wäre es, Flüssigkristalle direkt in Windschutzscheiben zu integrieren. „Das bietet sich auch für Visiere von Motorradhelmen an“, findet Schepperle: Eine stufenlose Regulierung der Milchigkeit sei durchaus machbar. Dem Team schweben weitere Anwendungen und Verbesserungen vor: „Wir überlegen schon, wie wir weitermachen.“

Noch einen, bitte!

Ein paar Tische weiter lauert „Drink Mate“ darauf, dass jemand auf dem Trockenen sitzt. „Das gleiche Getränk noch einmal“, ordert der intelligente Bierdeckel automatisch per Funk, sobald der Füllstand im Glas unter 20 Prozent fällt – und das Gefäß auf der richtigen Seite stand. Umseitig fordert „Drink Mate“ bei Niedrigpegeln: „Bedienung bitte!“ Eine Herausforderung sei jeder Schritt der Entwicklung gewesen, erzählt Anna Kutsch: „Bauteile finden, Energieverbrauch niedrig halten…“ Seinen Strom gewinnt der Bierdeckel aus dem Temperaturunterschied zum Getränk im Glas, egal ob heißer oder kälter. Voll geladen speichert er Energie für hundert Bestellungen. „Probleme gäbe es nur, wenn Gäste ausschließlich Getränke mit Raumtemperatur trinken würden“, sagt Kutsch.


Der intelligente Bierdeckel „Drink Mate“ ordert automatisch ein weiteres Getränk per Funk, sobald der Füllstand im Glas unter 20 Prozent sinkt. Foto: Thomas Kunz

„Drink Mate“ ist weniger für Zecher mit Sprachbeschwerden gedacht. Der Deckel soll Abläufe in Kneipen vereinfachen und durstigen Kehlen schneller Löschflüssigkeiten zuführen. „Mit ‚Drink Mate‘ könnten auch etwa Dialysepatientinnen und -patienten ihre Trinkmenge besser kontrollieren“, denkt Kathrin König schon über weitere Anwendungen nach. König, Kutsch, Jasmin-Clara Bürger, Tim Cammerer und Larissa Schiedel wollen ihren cleveren Untersetzer definitiv weiter entwickeln, bestenfalls zum fertigen Produkt.

Auf Tutoren ist Verlass

Gutachter Woias gefällt das breite Ideenspektrum: „Auch der Professionalisierungsgrad ist gestiegen.“ Selbst Details wie das Layout der Platinen und die Gehäuse aus dem 3D-Drucker sind ansprechend gestaltet. „Wir hatten dieses Mal auch mehr Sponsoren“, sagt der Mikrosystemtechniker: „Das dritte ‚Design Lab‘ ist sehr gut gelaufen.“ Er betont, welchen großen Anteil die Tutorate am Erfolg haben. Peter Woias erzählt, dass Doktorandinnen und Doktoranden vom IMTEK die Teams und ihre Projekte eng begleiten und unterstützen: „Ohne ihr Engagement hätten wir keine Chance, so einen Kurs anzubieten.“

Jürgen Schickinger