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Der Phantasie ihren Lauf lassen

Lesestoff, der Kinder und Erwachsene gleichermaßen anspricht und amüsiert: Weertje Willms über den Wandel in der Kinder- und Jugendliteratur

Freiburg, 03.09.2018

Der Phantasie ihren Lauf lassen

Foto: Tatyana Gladskih/Fotolia

Emil, Pippi und Harry würde er bestimmt gefallen, der Weltkindertag, der in Deutschland seit 1954 am 20. September gefeiert wird. Die Figuren aus den Kinderbüchern von Erich Kästner, Astrid Lindgren und Joanne K. Rowling haben viele Deutsche beim Aufwachsen begleitet. Doch während Pippi und Co. vor allem als Freigeister bekannt sind, verfolgten die Kinderbücher im 19. Jahrhundert noch andere Ziele, sagt Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Weertje Willms vom Deutschen Seminar der Universität Freiburg. „Früher sollten Kinderbücher nicht phantasieanregend oder unterhaltend sein, sondern die Kinder erziehen“, erläutert Willms. Inzwischen sei man von diesem didaktischen Kurs abgekommen, wobei die Kinder- und Jugendliteratur nach wie vor Werte vermittele.

Verschiedene wichtige Zäsuren habe es im 20. Jahrhundert gegeben, die die Kinder- und Jugendliteratur nachhaltig geprägt und einen Wandel eingeleitet hätten. Dazu gehörten „Emil und die Detektive“ von Erich Kästner von 1929, „Pippi Langstrumpf“ von Astrid Lindgren, das in Deutschland 1949 auf den Markt kam, und „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler aus dem Jahr 1957. „Diese Bücher vermittelten eine gewandelte Vorstellung von Kindheit. Kindheit wird heute als freier und geschützter Raum verstanden, der Zeit für Entwicklung und Entfaltung bieten sollte.“ Damit sprach man der Kinder- und Jugendliteratur nicht mehr die Funktion zu, die Kinder unmittelbar in die Erwachsenenrolle einzuüben. „Dadurch hat sich in der Literatur auch eine andere Ästhetik entwickelt.“ Der Erzähler oder die Erzählerin wurde etwa vom Erzieher zum Freund oder zur Freundin der Kinder, später erhielten die Kinder selbst eine Stimme und wurden zu den Erzählern der Geschichten.

Gute Kinderbücher bieten Freiräume für Phantasie und schaffen es dennoch, Werte wie zum Beispiel Freundschaft oder Solidarität zu vermitteln, sie haben keinen explizit didaktischen Ton.“ Früher sei befürchtet worden, dass Kinder, die Pippi Langstrumpf lesen, freche und unvernünftige Kinder werden, aber die Erfahrung habe gelehrt, dass das nicht der Fall sei. „Kinder können anhand des Buches dem Lustprinzip folgen und sich an der Auflösung der Regeln erfreuen, gleichzeitig verhalten sie sich im echten Leben nicht so.“ Sehr lustig fänden Kinder, wenn alles auf den Kopf gestellt werde, wie beim Sams, das alles wörtlich nehme. Oder Pippi Langstrumpf, die einfach rückwärts laufe. „Durch den Humor werden Normen hinterfragt und Konventionen entlarvt.“

Immer aber hätten zwei Stränge nebeneinander existiert, ein konservativer und ein innovativer. „Die innovativen Autorinnen und Autoren waren häufig Vorreiter und trieben den gesellschaftlichen Wandel mit ihren Büchern voran.“ So gebe es beispielsweise inzwischen auch Jugendbücher, die von homosexueller Liebe handelten, während gleichzeitig sehr konservative spezielle Mädchen- und Jungenbücher den Markt überschwemmten.

Prof. Dr. Weertje Willms ist seit 2009 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, wo sie 2014 zur außerplanmäßigen Professorin ernannt wurde. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören deutsch-russische Kulturbeziehungen, Kreatives Schreiben und Literaturvermittlung sowie Kinder- und Jugendliteratur. Für eines ihrer Lehrprojekte mit kreativen Anteilen wurde sie 2015 mit dem Lehrpreis der Universität Freiburg ausgezeichnet.



Prof. Dr. Weertje Willms


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