Waffen und Verantwortung
Freiburg, 27.08.2018
Im US-Bundesstaat Florida soll am Wochenende ein 24-Jähriger im Rahmen eines Videospiel-Turniers zwei Menschen erschossen und elf weitere verletzt haben, bevor er die Waffe gegen sich selbst richtete. Dieses Phänomen werde in Deutschland als „Amoklauf“ bezeichnet, sagt Friedemann Groth, Doktorand am Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie der Universität Freiburg. „Doch abgesehen davon, dass dies laut Kriminologinnen und Kriminologen ein irreführender Begriff ist, ist besonders die öffentliche Reaktion in Deutschland interessant, die regelmäßig auf die amerikanischen Waffengesetze als Ursache für solche Vorfälle verweist.“
Vorwurfsvoll und verzweifelt zugleich würden Statistiken hervorgeholt, die belegen sollen, wie viele Menschen bereits durch den Gebrauch von Schusswaffen in den USA sterben mussten, es würden Bilder von Waffen gezeigt, die als Ware in US-amerikanischen Supermärkten erhältlich seien, und bedauernd werde der aussichtslose Kampf der Waffengegner gegen die „übermächtige“ National Rifle Association (NRA) festgestellt. „Ein eindeutig kausaler Zusammenhang zwischen der legalen Verbreitung von Waffen und den ‚mass shootings‘ – aber auch den allgemeinen Tötungszahlen – ist in seiner Drastik nach dem derzeitigen Stand der kriminologischen Forschung jedoch offenbar nicht haltbar.“ Dennoch nehme die deutsche Öffentlichkeit die US-amerikanischen Waffengesetze als offensichtlich defizitär wahr, was das Resultat eines historisch unterschiedlich gewachsenen Staatsverständnisses sei.
Das Staatsverständnis, aus dem heraus sich das heutige US-Waffenverständnis entwickelt habe, könne bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Zu dieser Zeit sei es in England zu einer ersten Verbreitung von Feuerwaffen gekommen. Gleichzeitig seien tiefschürfende Erfahrungen gemacht worden, die oftmals mit privatem Waffenbesitz, Jagdrechten, Milizen und stehenden Heeren der Herrscher einhergingen. „Diese Erfahrungen erinnern die Menschen noch heute an die Gefahren von Bürgerkrieg und Tyrannei und prägten ein Bild von Waffen, Bürgern und dem Staat, welches gerade die in die amerikanischen Kolonien ausgewanderten Menschen beeinflusste und ihre Vorstellung von Amerika als ‚neue Welt‘ und ‚shining city upon a hill‘ formte.“
Im Kampf um die Unabhängigkeit hätten vor allem die Theorien von John Locke und William Blackstone mit ihrem Fokus auf die um das Privateigentum herum organisierten, natürlichen Rechte gegen den Staat erheblichen Einfluss gehabt. „Das Waffenrecht wie auch das Selbstverteidigungsrecht ist in dieser Vorstellung ein Hilfsrecht, das immer als Bollwerk gegen Tyrannei bereitgehalten werden muss. Widerstand gegen die Repräsentanten des Staates und andere muss im Extremfall potenziell möglich sein.“ Die deutsche Idee vom Staat stehe gewissermaßen im Gegensatz dazu. „In der Tradition von Thomas Hobbes und Immanuel Kant prägt der Vorzug der staatlichen Ordnung die Vorstellung, in der sich ein Staat durch Kontinuität und ein wirksames Monopol legitimer Gewalt als Garant der Rechte auszeichnet.“
Friedemann Groth ist Doktorand am Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie der Albert-Ludwigs-Universität. Sein Forschungsinteresse gilt dem Recht aus kulturphilosophischer Perspektive. Sein Dissertationsprojekt trägt den Arbeitstitel „Waffen und Verantwortung – Worauf die Unterschiede zwischen deutschem und US-amerikanischen Waffenrecht hinweisen“.
Friedemann Groth
Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie
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