„Die Motivation von Jihadisten wird steigen“
Freiburg, 19.08.2021
„Der westliche Militäreinsatz in Afghanistan ist gescheitert“, diagnostiziert der Islamwissenschaftler Dr. Tilman Lüdke von der Universität Freiburg. „Das Ziel, Frieden und Demokratie in Afghanistan zu schaffen, wurde nicht erreicht.“ Zwar hätten die westlichen Truppen 2001 das Taliban-Regime zügig stürzen können, in den 20 darauffolgenden Jahren sei es jedoch nie gelungen, trotz militärischer Überlegenheit und Milliardeninvestitionen in Infrastruktur und Entwicklungsprojekte, ein demokratisches System zu verankern. „Es wurden zwar demokratische Wahlen abgehalten, jedoch verdankten die daraus hervorgegangenen Präsidenten Hamid Karsai und Ashraf Ghani ihre Macht fast ausschließlich der westlichen Präsenz“, so Lüdke. Schon während der zweiten Präsidentschaftswahl warfen sich Wahlsieger Ashraf Ghani und der unterlegene Abdullah Abdullah gegenseitig Wahlfälschung vor. Dies sei laut dem Experten bereits als Beispiel für eine grassierende Korruption des „demokratischen“ Systems zu sehen.
Armee und Polizei dienten als Arbeitsstelle
Auch in Verwaltung und Militär hätten sich demokratische Bestrebungen nicht verwurzelt. Die Taliban eroberten im Schnelldurchgang eine Provinzhauptstadt nach der anderen, da liege der Verdacht nahe, „dass die Beschäftigung in Armee und Polizei vor allem eines war: eine Arbeitsstelle in einem Land fast ohne Wirtschaftsleben – und nicht etwa einer Motivation zur Verteidigung des demokratischen Systems entsprang“, erläutert Lüdke. Indes hätten sich die Taliban als Terrororganisation im Vergleich zu 2001 weiterentwickelt und würden sich nun politisch versierter zeigen. Mit China wurden bereits Verhandlungen geführt. Dies lasse eine politische Reife erkennen, die den Taliban bisher nicht zugetraut wurde.
Vermehrter islamistischer Terror möglich
Der Sieg über Afghanistan habe nicht nur Folgen für die Nachbarländer wie China, glaubt Tilman Lüdke. „Die Machtübernahme der Taliban wird die Motivation von Jihadisten auf der ganzen Welt steigern, denn sie werden das westliche Scheitern in Afghanistan als klaren Sieg der Jihadisten mit langem Atem werten.“ Das könne wahrscheinlich zu vermehrtem islamistischem Terror führen, selbst wenn die Taliban nicht aktiv versuchen, ihr Staatsmodell zu exportieren.
Vor Terror und der islamistischen Herrschaftsform werden weiterhin viele Menschen fliehen. Doch eine große Migrationsbewegung wie im Jahr 2015 erwartet der Wissenschaftler nicht. „Der Großteil der afghanischen Bevölkerung erscheint kriegsmüde und wird versuchen, seine Existenz im Land zu sichern.“
Dr. Tilman Lüdke
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