Konflikt wegen Friedensprozess
Freiburg, 15.05.2018
Zwei Kandidaten werden derzeit die besten Chancen auf das Präsidentenamt eingeräumt: Iván Duque von der konservativen Partei Centro Democrático und Gustavo Petro von der sozialdemokratischen Kampagne Movimiento Progresista. „Das Besondere an der Wahl ist, dass sie sehr stark mit dem Friedensprozess im Land zusammenhängt und darüber entscheidet, wie es damit in Zukunft weitergeht“, sagt Dr. Alke Jenss, Soziologin vom Arnold-Bergstraesser-Institut an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Das Land sei tief gespalten. Während Petro und die vom bewaffneten Konflikt besonders betroffene Landbevölkerung für den Frieden mit der ehemaligen Guerillabewegung FARC seien, stellten sich der konservative Duque und viele Städter dagegen.
Im Jahr 2016 habe ein Referendum stattgefunden, in dem eine knappe Mehrheit der Kolumbianerinnen und Kolumbianer gegen den Friedensvertrag mit der FARC stimmten. Dennoch sei dieser anschließend überarbeitet und im Kongress diskutiert und angenommen worden, ohne dass er den Bürgerinnen und Bürgern ein zweites Mal zur Abstimmung gestellt wurde.
„Die Vereinbarungen aus dem Friedensprozess sind zudem recht progressiv und haben viele in Kolumbien überrascht“, erläutert Jenss. Nicht zuletzt, weil der amtierende Präsident Juan Manuel Santos zwar aus der kolumbianischen Elite stamme, selbst als konservativ gelte und als Verteidigungsminister vor zehn Jahren noch eine klar militärische Strategie gegen die Guerilla vertreten habe, sich aber in seiner Präsidentschaft für den Frieden stark machte.
Über die Gründe für Santos‘ Engagement könne nur spekuliert werden. „Am wahrscheinlichsten ist, dass Santos sich aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten für den Frieden einsetzte, weil ihm ein sicheres Land für Investorinnen und Investoren attraktiver erschien.“ Dennoch rücke die Regierungspartei Partido Social de Unidad Nacional nun von diesem eingeschlagenen Kurs ab und unterstütze tendenziell Duque, der den Friedensprozess nicht unterstütze. Er werde vermutlich versuchen, an den Stellschrauben der Friedensvereinbarungen so zu drehen, dass die FARC nicht mehr so einfach politisch aktiv werden kann. „Darüber hinaus setzt Duque auf das Wirtschaftsmodell des Extraktivismus, also die Ausbeutung von Rohstoffen wie Gold, Öl und Kohle.“ Sein Kontrahent Petro setze hingegen auf ein sozial und ökologisch ausgerichtetes Modell: kein Fracking, weniger Rohstoffexport, mehr Bildung.
„Die Wahl wird in jedem Fall spannend und die Herausforderungen für den künftigen Präsidenten sind groß. Es gilt, die FARC-Guerilla weiter einzubinden, die Ungleichheit in der Bevölkerung, was Einkommen, Vermögen und den Zugang zu Land angeht, zu bekämpfen und auch ökologisch neue Wege zu finden, da die starke Rohstoffausbeutung bisher bereits ihren Tribut gefordert hat.“
Dr. Alke Jenss ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arnold-Bergstraesser-Institut an der Universität Freiburg. Ihre Forschungsschwerpunkte mit Expertise zu Lateinamerika sind unter anderem die Herstellung von Sicherheit und Unsicherheit, „war on drugs”, Staatlichkeit, Governance und multiskalare Aushandlungsprozesse sowie politische Ökonomie von Landkonflikten.
Dr. Alke Jenss
Arnold Berstraesser Institut
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