Der Mittelfinger
Freiburg, 23.08.2016
Vergangene Woche zeigte der SPD-Politiker Sigmar Gabriel Rechtsextremen den Mittelfinger. „Überall auf der Welt wird geschimpft, beleidigt, geflucht und verflucht, abstrakter gesagt: Es wird Negatives unfein bis vulgär herausgestellt“, sagt der Freiburger Romanist Prof. Dr. Hans-Martin Gauger. Die deutsche Sprache habe jedoch eine andere Schimpf- und Beleidigungskultur: „Viele andere Sprachen ‚arbeiten‘ in vulgärer bis normaler Sprache vorwiegend mit Ausdrücken, die sich auf Sexuelles beziehen“, erklärt Gauger. „In der deutschen Sprache setzen wir jedoch nahezu ausschließlich Ausdrücke ein, die sich auf Exkrementelles beziehen.“
Die Mittelfinger-Geste sei weit verbreitet und finde sich schon in der griechisch-römischen Antike, habe sich bei uns jedoch erst vor etwa zwei bis drei Jahrzehnten wieder etabliert. Ihre Bekanntheit habe sich beispielsweise dadurch erhöht, als der damalige Fußball-Nationalspieler Stefan Effenberg sie im Juni 1994 einsetzte. „Diese Geste ist eindeutig sexuell, sie bildet ziemlich komplett das erigierte männliche Organ insgesamt dar“, so Gauger. „Sie wurde bei uns aber alsbald durch die im Grunde ganz abwegige Bezeichnung ‚Stinkefinger‘ ins Exkrementelle gebracht. Sie wurde so auf unsere Linie hin verbogen.“ Bei dem Vorfall mit Minister Gabriel sei jedoch medial überwiegend vom "Mittelfinger" geredet und geschrieben worden. „Ein sachlich beschreibender, nicht interpretierender, insofern nicht zu beanstandender Ausdruck.“
Hans-Martin Gauger war von 1969 bis 2000 Professor für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität Freiburg und ist seit 2000 emeritiert. 2014 erschien sein Buch „Das Feuchte und das Schmutzige“, in dem er sich mit der vulgären Ausdrucksweise beschäftigte und diese in 15 Sprachen untersuchte. Gauger ist am besten per Mail zu erreichen: hansmartingauger@t-online.de
Artikel über Gauger in der Universitätszeitung uni’leben:
http://www.pr2.uni-freiburg.de/publikationen/unileben/unileben-2012-6/#/10