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Droht ein „Alles-ist-erlaubt-Gesetz“?

Freiburger Initiative kritisiert den Entwurf zur Reform des bayerischen Polizeirechts

Freiburg, 21.03.2018

Droht ein „Alles-ist-erlaubt-Gesetz“?

Bild: adimas/Fotolia

Die geplanten Regelungen zur erweiterten DNA-Analyse im bayerischen Polizeirecht gehen von fal­schen Fakten aus, wie die Freiburger Initiative zur wissenschaftlich-kritischen Auseinandersetzung mit forensischen DNA-Analysen auf ihrer Website ausführt. Eine Stellungnahme des „Netzwerks Datenschutzexpertise“, verfasst von Dr. Thilo Weichert, der Mitglied der Freiburger Wissenschaftsinitiative ist, die sich für einen differenzierten Umgang mit erweiterten DNA-Analysen einsetzt, kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass die Regelungen gegen deutsches und europäisches Verfassungsrecht verstoßen. „Diese Änderung im bayerischen Landesrecht ist explizit als Vorreiter für bundesweite Regelungen vorgesehen. Der Gesetzesentwurf sieht unverhältnismäßige Maßnahmen vor, die in die Grundrechte auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung massiv eingreifen“, betont die Freiburger Wissenschaftshistorikerin Prof. Dr. Veronika Lipphardt vom University College Freiburg.

Im Mittelpunkt beider Kritikäußerungen steht die Absicht, die so genannten „Erweiterten DNA-Analysen“ erstmals in polizeilichen Untersuchungen in Deutschland rechtlich zuzulassen. Diese sollen äußerliche Merkmale wie Augen-, Haar- oder Hautfarbe, das biologische Alter sowie die so genannte „biogeographische Herkunft“ aus der DNA herleiten, und dies nicht nur, wie bisher vorgesehen, im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen, sondern zum Zweck der Gefahrenabwehr. „Politik und Er­mittlungsbehörden wecken überzogene Erwartungen an dieses Instrument“, sagt die Freiburger Kulturanthropologin Prof. Dr. Anna Lipphardt: „Die Vorhersagen sind im Anwendungsfall längst nicht immer so aussagekräftig und präzise, wie behauptet wird.“ Es könnte zu Fehlanwendungen kommen; zudem ergäben sich vor allem dann weiterführende Ermittlungshinweise zur Eingrenzung eines Personenkreises, wenn die Analyse-Ergebnisse auf Menschen mit genetischen Wurzeln außerhalb Eu­ropas hinwiesen. Deshalb könne die Anwendung der erweiterten DNA-Analyse dazu führen, dass sich Ermittlungen überproportional – und womöglich zu Unrecht – auf diese Gruppen fokussierten.

Der bayerische Gesetzesentwurf präzisiere außerdem nicht hinreichend, unter welchen Umständen das Instrument zum Einsatz kommen dürfe. „DNA-Daten sind besonders schutzbedürftig, weil sie höchst sensible Informationen über einen Menschen und seine Familie preisgeben und weil sie prak­tisch nicht anonymisierbar sind“, sagt Weichert. Wie lange dürfen die erhobenen Daten gespeichert, zu welchen Zwecken dürfen sie genutzt werden? Welche Institution leistet die notwendige Rechtsgüterabwägung und entscheidet, ob es zum Schutz öffentlicher Interessen gerechtfertigt ist, in die Rechte und Freiheiten der Betroffenen einzugreifen? Welche Instanz gewährleistet die Kontrolle dieser Vorgänge? Antworten auf solche Fragen bleibe der Entwurf schuldig, sagt Lipphardt: „Vorgesehen ist stattdessen ein Alles-ist-erlaubt-Gesetz, bei dem die Ermittler sehr weitreichende Befugnisse erhalten, ohne Rechenschaft über die Art der Anwendung geben zu müssen.“

Am 27. März 2018 veranstalten der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma und die Amadeu Antonio-Stiftung in Berlin einen Fachtag zum Thema „Racial Profiling & erweiterte DNA-Analysen in kriminalpolizeilichen Ermittlungen“ für zivilgesellschaftliche Organisationen, bei dem zahlreiche offene Fragen bezüglich der Praxisanwendung dieser neuen Technologien im Fokus stehen. Mehrere Mitglieder der Freiburger Wissenschaftsinitiative, darunter Thilo Weichert, Anna Lipphardt und Veronika Lipphardt, werden dort als Referentinnen und Referenten vortragen.


Prof. Dr. Veronika Lipphardt (links)
University College Freiburg, Professur für Wissenschaft und Technik
Bertoldstraße 17, 79098 Freiburg

Telefon: +49(0) 761 / 203-4415
E-Mail:



Prof. Dr. Anna Lipphardt (rechts)
Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie
Maximilianstraße 15, 79100 Freiburg

Telefon: +49(0) 761 / 203-97625
E-Mail:

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