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„Brexit“

Möglicher Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union: Historiker Franz-Josef Brüggemeier über die Hintergründe des Referendums

Freiburg, 07.06.2016

„Brexit“

Bild: Pixelbliss/Fotolia.com

Am 23. Juni 2016 entscheidet die Bevölkerung des Vereinigten Königreiches in einem Referendum darüber, ob ihr Land in der Europäischen Union (EU) verbleiben soll. „Diese Abstimmung ist einerseits nur aus der besonderen Situation in Großbritannien zu verstehen“, sagt der Freiburger Historiker Prof. Dr. Dr. Franz-Josef Brüggemeier. „Andererseits zeigt sie aber auch die großen Probleme auf, vor denen die Europäische Union steht.“

Angesichts dieser Probleme möchten viele Europäerinnen und Europäer auf dem Kontinent die Institutionen in Brüssel stärken und einheitlicher handeln. „Aus Sicht zahlreicher Britinnen und Briten ist es verständlich, dass andere europäische Staaten bereit sind, ihre politischen Institutionen entsprechend zu verändern“, sagt Brüggemeier. „In Großbritannien hingegen bestehen die grundlegenden politischen Institutionen seit 300 Jahren und länger und haben in dieser Zeit zwar wichtige Änderungen erfahren, sich im Kern aber bewährt.“ Vergleichbare Traditionen bestünden in keinem der anderen großen europäischen Länder, die allein im 20. Jahrhundert mehrere, teils abrupte und gewaltsame Systemwechsel erlebt haben. Entsprechend möchten die Brexit-Befürworterinnen und -Befürworter im Vereinigten Königreich ihre Institutionen zwar anpassen, wo dies erforderlich ist, darüber aber selbst entscheiden und nicht in einer EU bleiben, die für Brüssel größere Macht und Kompetenzen beansprucht.

„Zugleich sind einige der Brexit-Befürworter Anhängerinnen und Anhänger eines engstirnigen Nationalismus und etwas merkwürdige Zeitgenossen. Doch es gibt auch viele ernstzunehmende Briten, die für den Brexit, aber nicht grundsätzlich gegen Europa sind“, so Brüggemeier. Diese zweite Gruppe würde Fragen aufgreifen, die auch auf dem Kontinent diskutiert werden: „Europa steckt in einer Krise, auch ganz unabhängig von britischen Kritikerinnen und Kritikern.“ Wenn der Brexit stattfindet, gehe es nicht nur darum, was mit dem Vereinigten Königreich passiert, betont der Historiker: „Genauso wichtig ist die Frage, welches Europa die anderen Länder Europas wollen. Es kann durchaus sein, dass auch bei ihnen eine Mehrheit gegen eine zunehmende Zentralisierung ist und stattdessen ein schlankes Europa möchte.“

Brüggemeier ist Professor für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Universität Freiburg. Sein aktueller Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert. Mit diesem Thema befasst er sich seit Jahrzehnten, er hat dazu eine Monographie verfasst und in York/Großbritannien unterrichtet. Brüggemeier ist am besten per E-Mail erreichbar.