200 Jahre „Stille Nacht, heilige Nacht“
Freiburg, 04.12.2018
Um die Entstehung von „Stille Nacht, heilige Nacht“ ranken sich viele Legenden, erzählt Dr. Dr. Michael Fischer vom Zentrum für Populäre Kultur und Musik (ZPKM) der Albert-Ludwigs-Universität: „Eine der schönsten ist jene, bei der eine Maus die zentrale Rolle spielt. Diese soll den Blasebalg der Orgel angefressen und damit das Instrument unspielbar gemacht haben. Als Ersatz diente dann besagtes Lied mit Gitarrenbegleitung.“ Tatsächlich entstand das heutzutage bekannte Weihnachtslied, so der Geschäftsführende Direktor des ZPKM, vor 200 Jahren.
Am 24. Dezember 1818 hat ein Hilfspriester in Oberndorf bei Salzburg dem Organisten Franz Gruber ein Gedicht, dessen Text zwei Jahre zuvor entstanden war, übergeben und ihn gebeten, eine passende Melodie für zwei Solo-Stimmen mit Chor und Gitarren-Begleitung zu schreiben. Gruber legte noch am gleichen Abend seine Komposition vor, die offenbar großen Anklang fand.
Nach und nach, erklärt Fischer, wurde diese einfache Komposition populär. Nachdem Tiroler Musiker „Stille Nacht“ in Städten wie Leipzig aufgeführt hatten, wurden Abdrucke des Liedes im Jahr 1834 in Dresden als eines von vier sogenannten „ächten Tyroler-Liedern“ verkauft. Neun Jahre später fand es sich im „Musicalischen Hausschatz der Deutschen“ wieder. Schnell eroberte das Lied die Welt: erst Sachsen und Preußen, dann Hamburg, Skandinavien und schließlich Übersee. „Ausschlaggebend hierfür waren zum einen die Rezeption im städtischen Kontext sowie der expandierende Verlagsmarkt“, sagt der Freiburger Forscher, „zum anderen der Alpen-Folklorismus des 19. Jahrhunderts.“
Ein wichtiges Detail wurde bei einem erneuten Abdruck 1844 verändert. Sowohl die zweite als auch in die dritte Strophe endet seitdem mit „Christ“, nicht mehr mit „Jesus“ – nun heißt es „Christ, der Retter ist da!“ und „Christ ist deiner Geburt!“ Diese Abwandlung erklärt Fischer damit, dass die von der Aufklärung und Romantik geprägte katholische Jesusfrömmigkeit in eine evangelische Christusfrömmigkeit überführt wurde. In der Rezeption setzte sich langfristig die neue Fassung durch, auch in der katholischen Kirche.
Doch zog das Lied zu jeder Zeit theologische und ästhetische Kritik auf sich, so der Kulturwissenschaftler: „Gerade den Hymnologen war das Lied lange Zeit zu wenig liturgisch, zu unkirchlich, überhaupt zu gefühlvoll, sentimental und kitschig.“ Im Jahr 1897 formulierte der Mainzer Domkapellmeister Georg Weber sein hartes Urteil: In der ersten Strophe fehle jeder christliche Gedanke, der Verfasser des Textes habe das Geheimnis von Weihnachten nicht verstanden und auch die Melodie sei platt und geschmacklos. Protestantische Kritiker äußerten sich ähnlich: Der Historiker Wilhelm Nelle, der die Geschichte des deutschen evangelischen Kirchenliedes verfasste, schrieb 1924, der Text sei schlicht und warm und die Melodie passe dazu, aber: „Ein höherer Wert wohnt beiden nicht inne“. Und noch 1987 heißt es in dem Fachbuch „Einführung der Hymnologie“, der melodische Übergang zum dritten Takt „alles schläft“, sei peinlich.
Aber diese Meinungen, so Fischer, haben der Popularität von „Stille Nacht“ nicht geschadet. Er sieht einen Grund darin, dass das Lied uns daran erinnere, wie die Welt sein sollte: „Viele Menschen, auch der Kirche und dem Christentum distanziert Gegenüberstehende, sehnen sich nach Stille und Frieden, und hoffen auf Liebe und Rettung – wie immer sie sich diese „Erlösung“ dann im Einzelnen vorstellen.“
Dr. Dr. Michael Fischer ist der Geschäftsführende Direktor des Zentrums für Populäre Kultur und Musik (ZPKM) der Albert-Ludwigs-Universität. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen unter anderem die Geschichte populärer Kultur und Musik seit der Frühen Neuzeit.
Dr. Dr. Michael Fischer
Zentrum für Populäre Kultur und Musik (ZPKM)
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