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„Rücktritt ohne Grund – wissenschaftliche Aufklärungsarbeit muss weitergehen“

Freiburg, 01.03.2016

„Rücktritt ohne Grund – wissenschaftliche Aufklärungsarbeit muss weitergehen“

Foto: Peter Mesenholl

Die Universität Freiburg wird die Aufklärungsergebnisse aus der „Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin“ sichern und öffentlich machen. Die Universität wird eine neue Forschungsstelle zu Sportmedizin und Doping schaffen


Der Rektor der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer, bedauert das offenbar ergebnislose Ende der Arbeit von Prof. Dr. Letizia Paoli, der Vorsitzenden der „Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin“. „Die Universität als Auftraggeberin ebenso wie die Öffentlichkeit haben sich von der Kommissionsvorsitzenden wichtige Beiträge zur Aufarbeitung der Vergangenheit der Freiburger Sportmedizin erhofft. Wir haben bis zuletzt im Sinne unseres gemeinsamen Ziels einer fundierten, unabhängigen und wissenschaftsgeleiteten Aufklärung zur Freiburger Sportmedizin an die Bereitschaft der Vorsitzenden und der gesamten Kommission zu einer konstruktiven und sachorientierten Zusammenarbeit appelliert. Der Rücktritt ist unbegründet und verantwortungslos.“ Paoli habe auf seine bereits Anfang der vergangenen Woche unterbreiteten Gesprächsangebote für den 26.2. und den 17.3.2016 nicht reagiert. „Besonders bedauerlich ist, dass nun viele öffentliche Ankündigungen der Kommissionsvorsitzenden zu dopinghistorisch einmaligen Funden und wissenschaftlichem Fehlverhalten in der Sportmedizin ohne wissenschaftlich fundierte Nachweise im öffentlichen Raum stehen“, betont Schiewer.

Die Universität Freiburg hat die wissenschaftliche und inhaltliche Unabhängigkeit, die der Evaluierungskommission bei der Erfüllung ihrer Aufgabe zusteht, zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt oder auch nur in Frage gestellt. Schiewer betont: „Seit Berufung der neuen Kommissionmitglieder Prof. Dr. Perikles Simon, Prof. Dr. Hans Hoppeler und Prof. Dr. Fritz Sörgel vor einem Jahr hat sich die Arbeitsgrundlage der Kommission, die Geschäftsordnung, in keinem Punkt verändert. Klar ist aber auch, dass die stets zugesicherte inhaltliche Unabhängigkeit die Kommissionsmitglieder nicht von rechtlichen Rahmenbedingungen entbinden kann. Das ist im Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit.“ Vor diesem Hintergrund könne dem Rücktritt der Kommission nur Unverständnis entgegengebracht werden. Gerade angesichts der Ankündigungen aus der Kommission in den vergangenen Monaten müsse die Universität nun bedauern, dass es der Kommissionsvorsitzenden nicht gelungen ist, die Arbeit zu einem ordentlichen Abschluss zu bringen. Darunter leide nun auch das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit.

Angesichts ihres nachdrücklichen Willens zur Aufklärung hat die Universität Freiburg in den vergangenen Monaten darauf verzichtet, der Kommissionsvorsitzenden eine Frist für die Abgabe der Arbeiten zu setzen, obwohl die jeweils gemeinsam ins Auge gefassten Abschlusstermine 2012, 2013, 2014 und schließlich 2015 verstrichen sind. Zuletzt hat die Kommission selbst den Abschluss ihrer Arbeiten für den Jahreswechsel 2015/2016 angekündigt. Die Universität hat bis zuletzt alles unternommen, um der Kommission alle gewünschten Unterlagen umgehend zugänglich zu machen, und sie hat dafür gesorgt, dass die Geschäftsstelle der Kommission ununterbrochen arbeitsfähig blieb.

Die erst im Dezember 2015 eingegangenen Hinweise auf mögliches wissenschaftliches Fehlverhalten hat die Universität sofort aufgegriffen und unverzüglich an die „Untersuchungskommission zur Sicherung der Redlichkeit in der Wissenschaft“ weitergeleitet, die von zwei unabhängigen Richtern geführt wird.

 

Rechtliche Rahmenbedingungen

Im Interesse einer fundierten wissenschaftsgeleiteten Aufklärung und zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit hat die Universität unter maßgeblicher Beteiligung der Kommissionsvorsitzenden 2011 einen Vertrag mit der KU Leuven geschlossen. Dieser umfasst die Geschäftsordnung, die sich die Kommission 2008 unter Beteiligung des heutigen stellvertretenden Vorsitzenden Dr. Hellmut Mahler selbst gegeben hat. Aufgrund dieser vertraglichen Bindung ist es der Kommission nicht möglich, die Geschäftsordnung einseitig zu ändern. Vielmehr ist die Kommissionsvorsitzende vertraglich verpflichtet, für die Beachtung der Geschäftsordnung auch durch die übrigen Kommissionsmitglieder zu sorgen.

Ein zentrales Element der rechtsstaatlichen Absicherung ist es, den zusammenfassenden Abschlussbericht und die vorgelegten Einzelgutachten vor deren Veröffentlichung auf ihre datenschutz-, urheber- und persönlichkeitsrechtliche Unbedenklichkeit zu überprüfen. Zwischen Kommission, Universität und dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK) wurde dazu 2015 ein mehrstufiges Verfahren abgestimmt. Ziel ist es dabei, den Rechtsrahmen so auszulegen, dass so viele Informationen und Fakten wie möglich öffentlich gemacht werden können.

Gerüchte, die Universität plane, Gutachten inhaltlich zu verändern, weist die Universität entschieden zurück. Die inhaltliche Verantwortung für die Gutachten liegt bei den Verfassern.

Die Universität muss sich angesichts der vielfältigen Vertragsverstöße der Kommissionsvorsitzenden alle rechtlichen Optionen offenhalten. Inwieweit die Universität Forderungen erhebt, wird maßgeblich davon abhängen, in welchem Maße die Kommissionsvorsitzende ihren nachvertraglichen Treuepflichten gerecht wird, die bisherigen Kommissionsergebnisse zu sichern und die Publikation oder wissenschaftlich fundierte Auswertung seit langem vorliegender Einzelgutachten zu ermöglichen.



Abschluss der Arbeiten

Die Kommissionsvorsitzende hatte die Aufgabe, auf Basis der Einzelgutachten nicht zuletzt für die Öffentlichkeit ein zusammenfassendes und schlüssiges Gesamtbild zu zeichnen. Es bleibt unklar, ob dieser Abschlussbericht, den sie bisher schuldig blieb, noch zu erwarten ist. Rektor Schiewer appelliert an die Kommission: „Es wäre verantwortungslos gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber dem Auftraggeber, die bis jetzt erstellten Unterlagen der Kommission zurückzuhalten oder gar zu vernichten, da sie Grundlage für die von der Universität weiter angestrebte volle Aufklärung der Geschichte der Freiburger Sportmedizin sind. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf.“

Die Aufklärungsarbeit wird nun durch eine Forschungsstelle zum Thema Doping und Sportmedizin fortgeführt werden. Sie wird im März 2016 als zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Universität geschaffen und von einem externen wissenschaftlichen Beirat unterstützt werden. „Die wissenschaftliche Aufklärungsarbeit muss weitergehen“, stellt Schiewer unmissverständlich fest. „Die Forschungsstelle wird die Erkenntnisse der bisherigen, allerdings nicht abgeschlossen Kommissionsarbeit soweit wie möglich für die Öffentlichkeit aufbereiten.“ Dazu wird sie eine zusammenfassende Auswertung der vorliegenden Einzelgutachten erstellen und diese, soweit sie nach den Ergebnissen einer externen Rechtsprüfung publikationsfähig sind, der Öffentlichkeit zeitnah zur Verfügung stellen. Die bislang vorliegenden Gutachten befassen sich mit den Sportmedizinern Herbert Reindell, Joseph Keul und Armin Klümper, dem Radsportteam Telekom/T-Mobile, wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus der Sportmedizin sowie mit finanziellen und strafrechtlichen Aspekten. Derzeit läuft die rechtliche Prüfung der Gutachten, die sicherstellt, dass in den Texten keine urheber- und datenschutzrechtlichen Bestimmungen verletzt werden.

Die künftige Forschungsstelle zum Thema Doping und Sportmedizin wird vom MWK, dem Universitätsklinikum und der Universität Freiburg gemeinsam finanziert. Sie soll die Rolle sportmedizinischer Forschung und Patientenbetreuung in der Dopingpraxis des deutschen Leistungssports untersuchen und Perspektiven für eine dopingfreie Betreuung von Leistungssportlerinnen und Leistungssportlern aufzeigen. Die Forschungsstelle ist den Grundsätzen wissenschaftlicher Redlichkeit verpflichtet und arbeitet in wissenschaftlicher Freiheit.



Zum Hintergrund

Die „Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin“ war am 6. Juni 2007 einberufen worden. Am 10. Dezember 2009 übertrug der Rektor der Universität Letizia Paoli von der KU Leuven den Vorsitz der Evaluierungskommission nach dem krankheitsbedingten Ausscheiden von Dr. Hans-Joachim Schäfer, der bereits die parallel arbeitende „Expertenkommission zur Aufklärung von Dopingvorwürfen gegenüber Ärzten der Abteilung Sportmedizin des Universitätsklinikums“ leitete, die nach zwei Jahren ihren Abschlussbericht vorlegte. Paoli verpflichtete sich vertraglich, bis zum 30. September 2012 einen zusammenfassenden Abschlussbericht vorzulegen.

Nachdem die Kommissionsvorsitzende den Abschlussbericht nicht fristgerecht abgeliefert hatte, ließ sie auch eine erste Verlängerungsfrist bis zum 31. Januar 2013 verstreichen. Dann verständigten sich Kommission und Universität bei einem Gespräch im Wissenschaftsministerium am 12. September 2013 auf eine Nachfrist bis zum 31. Mai 2014. Diese Frist ließ sie ebenfalls verstreichen. Nach einem Rücktrittsgesuch von Paoli vom 1. Oktober 2014 wurde in einem weiteren Gespräch von Schiewer und Paoli mit Wissenschaftsministerin Theresia Bauer am 24. Februar 2015 ein Abgabetermin im Herbst 2015 ins Auge gefasst, den Paoli auf den Jahreswechsel 2015/16 verschob. Rektor Schiewer tolerierte auch diese Frist, um die Aufklärungsarbeit nicht zu gefährden.

Die Universität sorgte seit Anbeginn dafür, dass die Mitglieder der Kommission Zugang zu den Akten und Schriftstücken erhielten. Sie stellte Archivmaterial und Archivpersonal bereit, senkte Sperrfristen von Akten ab, finanzierte die Arbeit der Kommissionsvorsitzenden und der Kommission sowie eigenes Personal für die Kommission, namentlich eine Geschäftsstelle sowie die Assistenz der Vorsitzenden. Hinzu kam die tägliche personelle Unterstützung durch zahlreiche weitere Mitarbeiterinnen Mitarbeiter der Verwaltung von Universität und Universitätsklinikum.

Die 2007 in die Kommission berufenen Mitglieder waren Prof. Dr. Britta Bannenberg, Prof. Dr. Werner Franke, Prof. Dr. Wolfgang Jelkmann, Dr. Hellmut Mahler, Prof. Dr. Bengt Saltin, Dr. Hans-Joachim Schäfer, Prof. Dr. Wilhelm Schänzer und Prof. Dr. Ulrich Schwabe. Während der Zeit des Vorsitzes von Prof. Dr. Letizia Paoli verließen Bannenberg, Franke, Jelkmann, Saltin, Schänzer, Schwabe sowie die zwischenzeitlich auf Wunsch von Paoli nominierten Prof. Dr. Carsten Lundby, Prof. Dr. Heinz Schöch und Dr. Andreas Singler die Kommission. Mitglieder waren zuletzt neben Paoli und Mahler die ebenfalls auf Wunsch der Vorsitzenden bestellten Prof. Dr. Hans Hoppeler, Prof. Dr. Perikles Simon, Prof. Dr. Fritz Sörgel und Prof. Dr. Gerhard Treutlein.
 

Brief von Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer an die Mitglieder der "Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin"
 

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