Fakt, Meinung oder Mission?
Freiburg, 30.04.2020
Das Coronavirus legt die Welt lahm, der Planet wird immer heißer: Bei drängenden Themen wie Epidemien oder den Folgen des Klimawandels ist die Wissenschaft in der Öffentlichkeit sehr präsent – bei anderen Fragen eher weniger. Die Bildungsministerin Anja Karliczek wünscht sich in einem 2019 veröffentlichten Positionspapier daher, dass Forschende sich verstärkt in den Diskurs einbringen. An der Universität Freiburg wird diese Auffassung freilich nicht vorbehaltlos geteilt: Daniela Kleinschmit, Professorin für Forst- und Umweltpolitik, sieht bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine gesellschaftliche Verantwortung zur Kommunikation. Carsten Dormann, Professor für Biometrie und Umweltsystemanalyse, sind Lehre und Forschung wichtiger – er möchte es jeder und jedem selbst überlassen, wie viel sie sich in öffentliche Diskussionen einschalten. Mathias Heybrock hat mit den beiden gesprochen.
Die Last der Welt spüren: Macht es Wissenschaftler unglaubwürdig, wenn sie in der Öffentlichkeit nicht nur ihre Forschungsergebnisse, sondern auch ihre persönlichen Überzeugungen kundtun? Foto: Valmedia/stock.adobe.com
Frau Kleinschmit, Herr Dormann, die Klimaaktivistin Greta Thunberg findet, der gesellschaftliche Einfluss der Wissenschaft könne gar nicht groß genug sein: Sie allein bringe die Lösung. Finden Sie das auch?
Daniela Kleinschmit: Ich verstehe zumindest, worauf Thunberg hinauswill. Sie möchte, dass wir uns stärker auf Expertinnen und Experten verlassen – weil sie, anders als Parteien, nicht von der Wählergunst abhängig sind. Weil sie sich nur vom Erkenntnisinteresse leiten lassen. Ob das immer zutrifft, lasse ich jetzt einmal dahingestellt. Selbst wenn es stimmt, sehe ich aber die Gefahr, dass wir so demokratische Richtlinien an den Rand drängen.
Carsten Dormann: Das Interessante an Thunberg ist, dass sie ein sehr rationales Ideal hat. Es steht jedoch im völligen Widerspruch zur Debatte, die extrem emotional geführt wird, auch von Thunberg selbst. Ich mag dieses rationale Ideal: Wir stellen unsere Erkenntnisse dar, machen transparent, worauf sie basieren – und kommen dann zu tragfähigen Entscheidungen. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass Politik so funktioniert. Oder die Welt überhaupt.
Das spricht aber nicht dagegen, dass sich die Wissenschaft an der öffentlichen Debatte beteiligt.
Carsten Dormann: Überhaupt nicht. Dass sie sich einbringt, finde ich vollkommen legitim. Sie sollte es jedoch als „Honest Broker“ machen – als ehrlicher Vermittler, der überparteilich und sachorientiert spricht. Wir sehen allerdings häufig, dass prominente Wissenschaftler diesen Bereich verlassen und ihre eigene Weltsicht propagieren.
Zum Beispiel?
Mir fällt da ein Buch von Hans Joachim Schellnhuber ein, dem ehemaligen Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. „Selbstverbrennung“ heißt das. Den Großteil dessen, was darin steht, kann ich unterschreiben. Aber Schellnhubers Botschaft ist nicht: Das ist der Stand der Forschung. Sie lautet: Wir müssen endlich was tun! Als Wissenschaftler so in die Interessenvertretung zu gehen – da wird eine Grenze überschritten, finde ich.
Diejenige zum politischen Aktivismus?
Carsten Dormann: Ja. Hinzu kommt: Wenn ein Wissenschaftler mit sehr starkem Sendungsbewusstsein an die Öffentlichkeit geht, nimmt er alle anderen Kolleginnen und Kollegen in gewisser Weise mit in Haftung. Es wirkt dann so, als würde er für die gesamte Wissenschaft sprechen. Und das kann zu Problemen der Glaubwürdigkeit führen.
Daniela Kleinschmit: Ich würde die Grenze weniger eng ziehen. Wenn ein Philosoph an einer aufklärerischen Theorie arbeitet, darf er sie auch in die Gesellschaft tragen. Wenn die Arbeit eines Klimawissenschaftlers ergibt, dass sich die Erde erhitzt, darf und muss er das sagen, selbst wenn darin dann auch ein aktivistisches Moment liegt. Natürlich kommt es in den Medien manchmal geradezu zur Heroisierung von Wissenschaftlern – das ist dann auch mir zu viel. Trotzdem: Mit Kritik sollten wir vorsichtig sein, da Wissenschaftler, die ihre Erkenntnisse mit der Öffentlichkeit kommunizieren, einen wichtigen Beitrag leisten. Der Fall Drosten zeigt das ganz gut.
Die Wissenschaft sollte sich als „Honest Broker“ in der Öffentlichkeit einbringen, findet Carsten Dormann, „als ehrlicher Vermittler, der überparteilich und sachorientiert spricht“. Foto: Roger Kupfer
Inwiefern?
Daniela Kleinschmit: Der Virologe Christian Drosten ist derzeit sehr stark in den Medien. Er macht das richtig gut; versucht, in der Coronapandemie wissenschaftliche Grundlagen darzulegen – bekommt aber trotzdem sehr viel Kritik zu hören. Wenn er sich aus diesem Grund aus der Öffentlichkeit zurückziehen würde, wäre das der Sache nicht dienlich, finde ich.
Carsten Dormann: Drosten finde ich auch gut – seine Neutralität, die Klarheit seiner Kommunikation. Aber trotzdem habe ich eine Nachfrage: Daniela, du sagst, das sei der Sache nicht dienlich. Was ist denn „die Sache“?
Daniela Kleinschmit: Dass es eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung gibt, der wir als Wissenschaftler nachkommen müssen. Es gibt das Erkenntnisinteresse. Aber auch die Verantwortung, zu kommunizieren. Wenn Wissenschaft soziale Distanz zu Politik und Allgemeinheit aufbaut, wirkt das auf mich elitär. Man kann nicht einfach sagen: Wenn ihr was wissen wollt, schaut doch in meine Publikationen.
Carsten Dormann: Ich verstehe nicht, was gesellschaftliche Verantwortung ist. Das klingt für mich, als gäbe es ein Ziel, eine gesellschaftliche Norm, der wir nacheifern, der wir folgen, die wir erfüllen müssen. Die sehe ich nicht.
Was sehen Sie?
Carsten Dormann: Dass wir ermutigt werden, mit unseren Forschungserkenntnissen in die Öffentlichkeit zu gehen. Die meiste Forschung ist jedoch sehr kleinteilig. Das sind sehr kleine Steinchen, die ganz allmählich zu einem größeren Ganzen zusammengetragen werden. Und jedes einzelne kleine Steinchen ist in gewisser Weise langweilig. Man kann dann also entweder die Öffentlichkeit damit langweilen, oder man stellt es in dramatisierender Weise in den Gesamtzusammenhang – zu dem der eigene Beitrag dann aber kaum noch erkennbar ist. Ich glaube daher, dass es nicht hilft, wenn jeder, der über etwas forscht, diese Ergebnisse über Twitter kommuniziert.
Frau Kleinschmit, twittern Sie?
Daniela Kleinschmit: Wir kommunizieren, auch über Twitter, auch unsere kleinen Steinchen. Und für die meisten mag das tatsächlich uninteressant sein. Aber dann gibt es auch immer wieder Nachfragen, interessierte Reaktionen. Zugegeben kommen sie oft aus der Fachöffentlichkeit. Aber manchmal geht es auch darüber hinaus.
Kommunizieren Sie auch mit der Politik?
Daniela Kleinschmit: Ja, ich habe verschiedene politische Prozesse, die mein Thema betreffen, beratend begleitet. Dann schildere ich meinen Forschungsstand.
Und fühlen Sie sich da gehört? Oder ist das eher frustrierend?
Daniela Kleinschmit: Ich fühle mich da durchaus gehört, was nicht heißt, dass ich keine frustrierenden Erfahrungen mache. Dass ich mich frage: Was machen die jetzt mit meinen Informationen? Aber ich finde, es gehört eben dazu, dass das nicht immer eins zu eins umgesetzt wird. Die Politik entscheidet, nicht die Wissenschaft.
Carsten Dormann: Ich war mal in einem EU-Projekt beschäftigt, 200 Wissenschaftler, fünf Jahre Dauer. Nach Abschluss hatten wir einen Termin bei der Kommission und sollten das Ergebnis in zwei Minuten zusammenfassen. Das ist doch absurd.
„Wenn die Arbeit eines Klimawissenschaftlers ergibt, dass sich die Erde erhitzt, darf und muss er das sagen, selbst wenn darin dann auch ein aktivistisches Moment liegt“, betont Daniela Kleinschmit. Foto: Jürgen Gocke
So funktioniert Öffentlichkeit eben: Da gibt es bits and pieces. Die Zeitung will einen kurzen Text, eine knackige Überschrift.
Carsten Dormann: Das sagen Sie. Ich habe mal in den Niederlanden gelebt und dort etwas Anderes erlebt. Der Volkskrant hat jedes Wochenende eine Dissertation vorgestellt, auf einer ganzen Zeitungsseite. Das waren Texte mit Tiefe. Da hat die deutsche Medienlandschaft noch jede Menge Luft nach oben. Auch renommierte Zeitungen wie etwa die Süddeutsche.
Daniela Kleinschmit: Mit den bits and pieces habe auch ich meine Erfahrungen gemacht. Etwa bei einer Pressekonferenz, wo wir die Arbeit eines internationalen Forscherteams zum Thema illegaler Holzschlag vorstellten. Ein wichtiges Ergebnis war, dass der geldwerte Schaden sich nicht genau beziffern lässt, die Angaben differieren. Aber ein Journalist hat dann eben eine einzelne Zahl genommen – die am nächsten Tag in der Überschrift stand.
Das ist dann eher frustrierend.
Daniela Kleinschmit: Ich finde das einerseits sehr undifferenziert. Andererseits denke ich: Immerhin ist das Thema kommuniziert. Immerhin ein Anfang. Dazu kommt: Bits and pieces prägen ja nicht nur die Medien, sondern auch unseren eigenen Wissenschaftsbetrieb. Wir sind leider nicht die hehre Ausnahme.
Carsten Dormann: Ich vermute, der Gang an die Öffentlichkeit hat vor allem den positiven Effekt der Anerkennung. Wohl deswegen, weil der akademische Betrieb selbst eher streng im Umgang ist – jedes neue Paper wird sehr kritisch angeschaut. Wenn wir selbst mehr loben würden, würden die Forscher sich diese Wertschätzung nicht mehr draußen holen müssen. Sie könnten sich dann mehr auf die Forschung konzentrieren. Das wäre sozusagen mein Fazit.
Nämlich?
Es stört mich, dass wir Wissenschaftler wertend tätig sind, aber noch mehr stört es mich, wenn wir unsauber wertend tätig sind. Wenn wir uns zum Beispiel Urteile auch außerhalb unseres Sachgebiets erlauben. Ich ärgere mich, wenn ich in der Badischen Zeitung einen Leserbrief von einem „Prof. Dr.“ sehe. Woher weiß ich, dass hier nicht ein Virologe zu Stadtplanung spricht? Ich finde das anmaßend. Ich pflege deswegen die kommunikative Abstinenz.
Würden Sie sich wünschen, dass andere Wissenschaftler das genauso handhaben?
Carsten Dormann: Nein, das nicht. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Es gibt ja auch Fachbereiche, die – anders als mein eigener – für öffentliche Kommunikation geradezu prädestiniert sind. Ich glaube aber, als Wissenschaftler im öffentlichen Diskurs sollten wir stärker darüber reflektieren, was wir wissen – und was wir lediglich meinen.
Daniela Kleinschmit: Das stimmt. Wir sollten aber dennoch Wissenschaftler, die mit der Öffentlichkeit kommunizieren, nicht unterstellen, dass ihre Forschung deswegen schlechter ist – oder dass sie zumindest besser wäre, wenn sie weniger oder gar nicht kommunizieren würden. Dass wir Wissenschaftler die Arbeit von Kollegen mehr loben könnten, finde ich wieder gut. Das werde ich mir zu Herzen nehmen.