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„Das System krankt“

Sechs Mitglieder der Universität Freiburg diskutieren über Karriereperspektiven für Promovierende und Postdocs

Freiburg, 15.07.2021

Befristete Verträge, persönliche wie berufliche Unsicherheit und fehlende Perspektiven: Seit einigen Wochen weisen Forscher*innen in den sozialen Medien unter dem Hashtag #IchBinHanna auf unattraktive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft hin und üben Kritik. Angesichts dieser und früherer Debatten wird wieder einmal deutlich, dass sich Universitäten mit den Karrierewegen ihrer Wissenschaftler*innen beschäftigen und diese weiterentwickeln müssen. Die Universität Freiburg bündelt unter dem Dach des „Freiburg Career Advancement“ Angebote verschiedener Institutionen und Fachabteilungen, die sich mit der Karriereentwicklung beschäftigen. Seit April 2021 ist die akademische Karriere- und Personalentwicklung an der Universität Freiburg auch in einem Prorektorat verankert. Eine Reihe von Diskussionsformaten wird das Thema an der Albert-Ludwigs-Universität in den kommenden Monaten sichtbar machen (siehe Infokasten unten). In einem Themengespräch haben Annette Kollefrath-Persch und Rimma Gerenstein mit sechs Mitgliedern der Universität Freiburg über ihre verschiedenen Sichtweisen und Erfahrungen sowie mögliche Lösungen gesprochenen. Am virtuellen Tisch trafen sich aus der Universitätsleitung die Rektorin Prof. Dr. Kerstin Krieglstein, Prof. Dr. Sylvia Paletschek, Prorektorin für Universitätskultur, sowie Prof. Dr. Stefan Rensing, Prorektor für Forschung und Innovation, mit der Politikwissenschaftlerin und Postdoktorandin Dr. Julia Gurol, mit Klara Lesch, Sprecherin des Gemeinsamen Arbeitsausschusses der Doktorandinnen- und Doktorandenkonvente, und mit Oliver Trachte vom Personalrat der Universität Freiburg zum Austausch.


Forschende und Universitätsleitungen beklagen das in den vergangenen 15 Jahren zunehmend aus der Balance geratene Verhältnis zwischen Drittmitteln und Grundfinanzierung. Foto: Harald Neumann

Frau Krieglstein, in einem Meinungsbeitrag, den Sie kürzlich zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz in der Zeitung „Die Zeit“ veröffentlicht haben, schreiben Sie, dass Sie keine Alternative zu der großen Zahl befristeter Verträge sehen. Gleichzeitig betonen Sie in dem Artikel, dass es umso wichtiger sei, für Postdocs alternative Karrierewege zu entwickeln und zusätzliche Qualifikationen anzubieten. Wie sind diese Äußerungen zu verstehen?

Kerstin Krieglstein: Ich möchte die Thesen in meinem Artikel gerne etwas erläutern. Ein System muss man immer im Kontext sehen. Wir sind eine Universität, die auch der Qualifizierung verpflichtet ist. Wir haben etwa 24.000 Studierende, circa 4.500 Promovierende, mehr als 500 Postdocs, wenn ich die Medizin nicht mitzähle, und etwa 330 Professuren. Das ist eine ziemlich hohe Pyramide.

Die meisten Studierenden sind an einer Hochschule, um einen berufsqualifizierenden Abschluss zu erlangen, und nicht, um Karriere in der Wissenschaft zu machen. Die Promotion im Anschluss kann auch noch eine notwendige oder wünschenswerte Qualifizierung für viele berufliche Stellen sein. Anschließend differenziert es sich aber. Nach etwa zwei Jahren Postdoc-Zeit beginnt man, sich zunehmend auf eine wissenschaftliche Karriere zu konzentrieren, und die Tätigkeitsfelder – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Universität – werden immer weniger. Wir brauchen also freie Qualifizierungsoptionen. Alle, die promovieren möchten und geeignet sind, müssen einen Platz bekommen. In dieser Phase habe ich die Freiheit, mich zu qualifizieren und noch keinen Werdegang, der potenziell in die Sackgasse führt.


„Wenn wir tatsächlich etwas ändern möchten, dann müssen wir das Wissenschaftssystem in Deutschland grundsätzlich umbauen“, sagt Kerstin Krieglstein. Foto: Sandra Meyndt

Die andere Frage ist die Finanzierung. In den vergangenen 15 bis 20 Jahren hat sich das universitäre Wissenschaftssystem in der Bundesrepublik unter dem Wettbewerbsgedanken von der Grundfinanzierung hin zu einer Drittmittelfinanzierung entwickelt. Wir haben derzeit jährlich etwa 100 Millionen Euro Drittmittel an der Universität Freiburg. Daraus finanzieren wir Forschung, was aus dem Grundhaushalt kaum noch möglich ist. Das Gleiche gilt auch für die Lehre, auch hierfür müssen die Universitäten inzwischen Zweit- oder Drittmittel einwerben. Spätestens hier ist ein Punkt erreicht, an dem ich feststellen muss: Das System krankt; wir können unseren eigentlichen Auftrag nicht mehr leisten. Welche Alternativen könnte es hier geben? Forschende könnten sagen: „Ich werbe einfach viele Drittmittel ein und finanziere dadurch meine Mitarbeiter*innen.“ Aber hier muss man bedenken, dass die eingestellten Personen jünger wären als die Professor*innen selbst – diese könnten sie dann also nur bis zum eigenen Ruhestand versorgen. Und dann wäre die Verantwortung, weiterhin Geld einzuwerben, wieder bei den Mitarbeiter*innen. Aus meiner Sicht trägt das nicht.

Wenn wir tatsächlich etwas ändern möchten, dann müssen wir das Wissenschaftssystem in Deutschland grundsätzlich umbauen. Konkret bedeutet das: weg von der Drittmittelfinanzierung hin zu einer verstärkten Grundfinanzierung der Universitäten.

Julia Gurol: „Das System krankt“: Diese Diagnose kann ich absolut unterschreiben. Ihren Ausführungen zur Qualifizierungsphase möchte ich allerdings widersprechen. Klar, wer einen Bachelor und einen Master macht und promoviert, qualifiziert sich für einen Arbeitsmarkt, der nicht nur innerhalb der Wissenschaft liegt. Es fordert dementsprechend auch niemand in der Debatte rund um #IchBinHanna, dass Promotionsstellen entfristet werden. Wer sich aber in der Postdoc-Phase befindet und sich habilitiert, sitzt nach wie vor auf einer befristeten Qualifizierungsstelle. Die qualifiziert aber nur für die Wissenschaft, also für ein System, in dem wir dann nur sehr geringe Zukunftsperspektiven haben. Das ist doch paradox. Gleichzeitig ist in der freien Wirtschaft ein*e Wissenschaftler*in mit Habilitation völlig ungeeignet. Solche Qualifizierungsstellen müssen also entfristet werden.

Kerstin Krieglstein: Das ist eine Möglichkeit, ja, aber das System wird das niemals finanzieren können. Es wird leider keine größere Anzahl an Stellen geben. Ich ziehe somit eine andere Konsequenz daraus: Wir müssten die Zahl der Personen, die eine Habilitation anfertigen können, an die Zahl der perspektivisch zur Verfügung stehenden Stellen anpassen. Hier müssten wir nicht zuletzt im Sinne der Bestenauslese viel restriktiver auswählen. Für mich widerspricht dieser Ansatz aber jedem Freiheitsgedanken.

Julia Gurol: Oder wir sprechen über das völlig aus der Balance geratene Verhältnis zwischen Drittmitteln und Grundfinanzierung. Was wir hier entkoppeln sollten, sind sinnvoll befristete Anstellungen in drittmittelfinanzierten Projekten von Stellen, bei denen die Personen eigentlich Daueraufgaben in Forschung und Lehre übernehmen und die trotzdem befristet sind.


Für die meisten Postdoktorand*innen bieten sich nur drei Optionen, sagt Julia Gurol: „Professur, eine der extrem wenigen entfristeten Stellen oder raus aus dem System“.
Foto: Julia Gurol

Kerstin Krieglstein: Aus meiner Sicht lässt sich die Beteiligung an Lehre oder Forschung nicht per se als Daueraufgabe bezeichnen. Diese Interpretation greift zu kurz, weil die Ausübung von Forschung und Lehre während der Dissertations- oder Habilitationsphase ja eigentlich der Qualifikation dient. Hier müssen wir genauer hinschauen.

Sylvia Paletschek: Auch ich teile die Diagnose der Rektorin, dass das System krankt. Ich würde aber gern zwischen Stellen unterscheiden, die aus Drittmitteln und denjenigen, die aus dem Grundhaushalt finanziert sind. An der Universität Freiburg ist etwa die Hälfte der Postdocs auf Drittmittelstellen, die andere Hälfte wird über die Grundfinanzierung bezahlt. Eine Option ist, zu überlegen, welche aus der Grundfinanzierung getragenen Stellen wir entfristen können, aber dafür brauchen wir Daten, um klug handeln zu können. Ich plädiere für ein vernünftiges Monitoring. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass sich die Möglichkeiten auf eine Umorientierung stark in den jeweiligen Disziplinen und Wissenschaftskulturen unterscheiden. Dieses Wissen ist wichtig, um entsprechende Angebote unter Einbezug der Fakultäten erarbeiten zu können.

Wir sollten uns genau anschauen, wie viele Postdocs auf diesen Stellen ausgebildet werden und nicht durch den Flaschenhals zu einer Professur kommen – während Leute in einem ähnlichen Alter zum Beispiel über eine Tenure-Track-Professur mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Dauerstelle schon sicherhaben. Das produziert starke Ungleichheiten im Lehrkörper. Wir müssen durchrechnen: Wie viele Stellen brauchen wir, um eine Dynamik und damit auch eine Generationsgerechtigkeit zu ermöglichen? Wie viele Stellen können wir entfristen, und welche Formen der Personalentwicklung können wir diesen Beschäftigten, aber auch all denjenigen bieten, die auf befristeten Stellen sitzen? Wir haben an der Universität einen eigenen Stellenplan, aber es gibt ja auch noch die Auflagen des Landes und des Bundes. All das müssen wir in den komplexen Facetten betrachten, die das Thema mit sich bringt.

Oliver Trachte: Ich kann dazu aus meiner Beratungserfahrung im Personalrat berichten. Die Postdocs machen mir wirklich Sorgen. Das sind diejenigen, die häufig eine Familie haben, schon sehr lange an der Universität arbeiten und dann mit Anfang oder Mitte 40 in die Situation geraten, dass ihre Stelle nicht mehr verlängert wird. Diese Menschen verstehen nicht, warum sie nicht weiter befristet werden können. Sie möchten irgendwie weiterarbeiten, sie sind in den Institutsalltag eingebunden, und sie übernehmen Daueraufgaben. An die Option einer Entfristung denken sie meist schon gar nicht mehr. Ich erkläre ihnen dann, dass es diese Option, wenn auch nur selten, schon auch noch gibt, dass aber nicht alle Fakultäten davon im selben Maß Gebrauch machen. Man kann also durchaus argumentieren, dass das Wissenschaftszeitvertragsgesetz Menschen in die Sackgasse führen kann.

Ich möchte den Gesetzgeber aber auch ein bisschen in Schutz nehmen. Wenn man in die Begründung schaut, ist dort aufgeführt, dass die Länder und Hochschulen selbst auch einen gewissen Gestaltungsspielraum haben. Hier sind die Universitäten gefordert. Sie müssen sich mehr damit befassen, wie sie der Situation gegensteuern können. Ein Ansatz ist, die Postdocs enger zu begleiten. Wir sollten genau hinschauen, was sie machen und was sie erreichen möchten. Nutzen sie die Phase wirklich, um sich zu qualifizieren – dann sollte diese Qualifizierungsphase auch nach vier Jahren vorbei sein –, oder übernehmen sie weitgehend Daueraufgaben am Institut? Das ist vielleicht nicht besonders populär, aber es ist eine wichtige Stellschraube.


Sylvia Paletschek plädiert für ein Monitoring, das darstellt, wie lange Wissenschaftler*innen in den jeweiligen Disziplinen für Habilitation und Berufung benötigen: „Das ist mein Wunsch an das Land und den Bund.“ Foto: Thomas Kunz

Stefan Rensing: Ich möchte gern auf einen Punkt eingehen, den Frau Gurol und Herr Trachte angesprochen haben. Die entscheidende Frage lautet: Wofür qualifiziere ich mich eigentlich in dieser Phase? Oft mache ich die Erfahrung, dass die Personen nach einigen Jahren als Postdoc sagen: „Wie geht es nun eigentlich weiter?“, sie machen sich dann verstärkt Gedanken, die Optionen werden aber immer geringer. Es geht aber nicht ausschließlich darum, eine Professur anzustreben. Ein Ziel kann ja auch sein, Daueraufgaben zu übernehmen und hierfür eine entfristete Stelle zu bekommen – auch wenn das sehr schwierig ist. Die Pyramide ist extrem steil. Aus meiner Erfahrung in den Naturwissenschaften ist es allerdings so, dass das Skillset, das man als Postdoc erlernt, die Personen auch für die freie Wirtschaft sehr attraktiv macht. Es ist also keine verlorene Zeit. Entscheidend ist aber, dass wir die Postdocs sehr gut begleiten und ihnen dabei helfen, ihre Karriereoptionen durchzuspielen und entsprechend abzuwägen.

Julia Gurol: Herr Rensing, sehr viele Wissenschaftler*innen wären bestimmt glücklich damit, sich ihr Leben lang in Lehre und Forschung einzubringen, ohne unbedingt einen Ruf zu bekommen. Aber diese Möglichkeit gibt es einfach nicht. Stattdessen bieten sich nur drei Optionen: Professur, eine der extrem wenigen entfristeten Stellen oder raus aus dem System.

Einem anderen Punkt stimme ich allerdings zu: Wir brauchen transparente Kriterien für Entfristungen und konkrete Perspektiven: Ab wann und unter welchen Bedingungen kann entfristet werden? Diese Kriterien, an denen man eine Entfristung nachvollziehbar und planbar machen kann, wären sehr hilfreich.

Klara Lesch: Diese Intransparenz könnte man vielleicht dadurch lösen, dass es eben nicht die Betreuenden sind, die Promovierende hierzu beraten. Auch von einer anderen Seite sollten Perspektiven aufgezeigt werden, so wie es die Universität schon zum Teil in manchen Programmen umsetzt. Aber es ist natürlich ein großes Problem, dass wir keine Transparenz über die Stellen haben, die jetzt und in Zukunft vorhanden sind. Doch anders als Herr Rensing gesagt hat, glaube ich nicht, dass sich die Leute zu spät Gedanken um ihren Werdegang machen. Die Emotionalität der Debatte zeigt doch, dass sich die Menschen durchaus sehr viele Gedanken machen, wie es mit ihrem Beruf und ihrer Zukunft weitergeht.

Und deshalb hat Ihr Artikel, Frau Krieglstein, so eine Kraft gehabt, weil das radikal formuliert war. Wenn man hört, es gäbe keine Alternative, dann ist es natürlich ein schwerer Schlag. Aber Sie als Rektorat sind ja wohl bereit, Alternativen zu den bestehenden Umständen zu schaffen. Ich hoffe da nicht nur auf eine universitäre Debatte, sondern auf eine größere Bewegung, die zu mehr Grund- und weniger Drittmitteln hinführt. Daueraufgaben brauchen Dauerstellen, weil nur das für die Ausbildung der Studierenden und der Promovierenden eine bessere Kontinuität gewährleistet.


„Für mich ist es ein Muss, dass Wissenschaftler*innen eine zusätzliche Person haben, mit der sie sich über berufliche Schritte austauschen können“, betont Stefan Rensing.
Foto: Sandra Meyndt

Kerstin Krieglstein: Ja, wir müssen viel intensiver über die Qualifizierungsphase berichten und auch besser beschreiben, welche Qualifikationen jemand eigentlich braucht, um eine Professur zu bekommen. Eine Habilitation reicht da ja meistens nicht aus. Schon vor 20 oder 25 Jahren, als ich an dem Punkt in meiner Karriere stand, war bekannt, dass die „offiziellen“ Kriterien nicht der Realität entsprechen. Man brauchte also zum Beispiel nicht zehn Veröffentlichungen, sondern eigentlich doppelt so viele. Und dann noch Drittmittel und einige verfasste Reviews und so weiter.

Sehr wichtig ist hier auch die Frage, die Frau Lesch gestreift hat: Wie verhalten sich die Betreuer*innen gegenüber ihren Promovierenden? Beraten sie sie wirklich ehrlich bezüglich ihrer Leistung und ihrer Perspektiven? Oder haben sie viel mehr ihre eigene Forschung und ihre Projektziele im Blick und betrachten die Mitarbeiter*innen eher in diesem Zusammenhang? Ich habe früher einmal im Jahr ein Karrieregespräch mit meinen Mitarbeiter*innen geführt und ihnen nach der Promotion gesagt: „Wenn Sie sich noch weiter an der Universität qualifizieren möchten, können Sie noch zwei Jahre in meiner Arbeitsgruppe bleiben, aber nicht länger. Bitte machen Sie einen Plan und lassen Sie uns gemeinsam regelmäßig überprüfen, ob Sie Ihre Ziele erreichen.“ Ich habe nur diejenigen weiter beschäftigt, bei denen ich davon überzeugt war, dass sie die besten Chancen auf eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere haben, die anderen mussten meine Arbeitsgruppe verlassen. Das mag hart klingen, aber ich bin davon überzeugt, dass ich richtig gehandelt habe. Von allen, die in meinem Labor gearbeitet haben, weiß ich, dass sie gute Stellen gefunden haben – ob in der Wissenschaft oder in der Wirtschaft.

Julia Gurol: Ich stimme dem Punkt zu, dass Wissenschaftler*innen sich während oder nach der Promotion in einem überschaubaren Zeitraum darüber bewusst werden sollten, ob sie überhaupt in Forschung und Lehre tätig sein können und wollen. Aber ich finde es extrem schwierig, dass in der Debatte rund um #IchBinHanna derzeit oft gesagt wird: Wer wirklich gut ist, schafft es schon, im System Erfolg zu haben. Denn das ist nicht der Fall. Für eine Entfristung ist eben leider nicht allein die eigene individuelle Leistung entscheidend, sondern eine mehr oder weniger zufällige Verfügbarkeit von vakanten – und fast nie vorhandenen – Stellen. Wissenschaftskarrieren sind also, selbst bei tollen Leistungen, nicht planbar. Und das führt zu extrem großer Frustration.

Oliver Trachte: Frau Krieglstein, wie Sie sagten, hat sich das Wissenschaftssystem stark verändert und läuft mehr über Drittmittel. Das bereitet uns im Personalrat Sorgen. Durch den Föderalismus wird dieses Problem auch vom jeweiligen Bundesland noch verstärkt. Der Bund hat unter anderem den Exzellenzwettbewerb eingeführt, um Geld direkt an die Universitäten zu bringen und diese zu fördern. Dadurch sind die Drittmittel gestiegen, das Land hat diesen Wettbewerbsgedanken aufgegriffen und als Folge verstärkt Landesmittel als befristete Mittel vergeben. An diesem politischen Vorgehen könnte man doch ansetzen.


„Mit einer verbindlichen Dienstvereinbarung könnte die Universität einigen Gefahren, die das Wissenschaftszeitvertragsgesetz mit sich bringt, entgegenwirken“, schlägt Oliver Trachte vor.
Foto: Sandra Meyndt

Zu der Frage, wie Professor*innen davon überzeugt werden können, sorgsam mit ihren Mitarbeiter*innen umzugehen und Perspektiven und Grenzen aufzuzeigen, hätte ich einen konkreten Vorschlag: Mit einer verbindlichen Dienstvereinbarung könnte die Universität einigen Gefahren, die das Wissenschaftszeitvertragsgesetz mit sich bringt, entgegenwirken. Darin könnten zum Beispiel Mindestlaufzeiten von Verträgen, Prozentvorgaben für die wissenschaftliche Qualifikation in Arbeitsverträgen oder die Verlängerung der Qualifizierungszeit bei Drittmittelverträgen, wenn Wissenschaftler*innen in Elternzeit gehen, geregelt werden. Die Leitlinien, die wir bereits haben, enthalten zwar gute Ansätze, aber sie sind letztendlich zu unverbindlich. Eine Dienstvereinbarung ist zwar hart von oben verordnet, aber vielleicht das Einzige, das am Ende Erfolg hat.

Einerseits haben Sie alle darüber gesprochen, dass das System krankt und die Vorgaben von Bund und Ländern kommen. Andererseits haben Sie auch festgestellt, dass die Hochschulen gewisse Spielräume haben. Welche Möglichkeiten sieht da das neue Rektorat der Universität Freiburg?

Kerstin Krieglstein: Ansetzend an Frau Leschs Vorschlag, dass die Beratung jemand anders als die*der Betreuer*in machen sollte, wäre für mich als erster Schritt wichtig, dass wir sämtliche Promotionen in eine strukturierte Promotion überführen. Strukturiert in dem Sinne, dass der Startzeitpunkt feststeht und die Promovierenden mindestens zwei Ansprechpersonen haben, die Feedback geben und Optionen aufzeigen. Diese Punkte zu konkretisieren und niederzuschreiben ist sehr wichtig. Das könnte auch in Form einer Dienstvereinbarung erfolgen, wie Herr Trachte sie vorschlägt. Und dazu gehört für mich auch, die Betreuer*innen davon abzubringen, an ihren guten Mitarbeiter*innen festzuhalten, weil diese sie besonders gut bei ihren Forschungsvorhaben unterstützen. Das hat nichts mit dem Anspruch einer Qualifizierungsphase und der Förderung von Personen zu tun.

Klara Lesch: Eine Strukturierung der Promotion sollte damit einhergehen, dass die Laufzeit des Vertrags realistisch angesetzt ist, und zwar so, dass es Wissenschaftler*innen möglich ist, eine Promotion fertigzustellen. Und die Universitätsleitung sollte prüfen, welche Aufgaben die Promovierenden in den einzelnen Fakultäten leisten, und ob sie es schaffen, ihre im Vertrag vorgegebene Zeit wirklich der Promotion zu widmen. Man kann nicht nur sagen, dass die Promotion mehr strukturiert wird, sondern muss dann auch dementsprechend die Aufgaben anpassen.

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„Daueraufgaben brauchen Dauerstellen, weil nur das für die Ausbildung der Studierenden und der Promovierenden eine bessere Kontinuität gewährleistet“, sagt Klara Lesch.
Foto: Sandra Meyndt

Sylvia Paletschek: Ja, wir müssen ganz klar einen Kriterienkatalog entwickeln und die Professor*innen dazu bringen, sich mit den Karriereanforderungen und deren Veränderungen auseinanderzusetzen und nicht von Verhältnissen von vor 30 Jahren auszugehen. Darüber hinaus ist es wichtig, über die Stellenstruktur in den Fakultäten und Instituten zu diskutieren. Wir sollten uns ein Personalstrukturkonzept für den wissenschaftlichen Dienst überlegen, mit be- und entfristeten Stellen, das die notwendige Flexibilisierung ermöglicht und gleichzeitig die veränderten Bedürfnisse und Anforderungen im Lehr- und Forschungsbetrieb aufgreift. Und wir brauchen eine bessere Unterstützungskultur für die jungen Wissenschaftler*innen. Wir haben Mentoring- und Karriereprogramme, die wir noch stärken könnten. Diese Ansätze sehe ich als unsere Hauptpfeiler.

Stefan Rensing: Für mich ist es ein Muss, dass Wissenschaftler*innen eine zusätzliche Person haben, mit der sie sich über berufliche Schritte austauschen können. Zusätzlich sollten wir überlegen, ob sich die Vertragsdauer an der Qualifizierungsphase orientieren kann – und nicht an der Frage, wie viele Drittmittel im Moment zur Verfügung stehen. Das ist wahrscheinlich abhängig von den Disziplinen und unterschiedlich gut machbar, aber wir sollten versuchen, das zu verbessern.

Julia Gurol: Solch eine Dienstvereinbarung muss dann aber auch mit mehr Dauerstellen einhergehen. Mir ist bewusst, dass nicht alle Wissenschaftler*innen eine entfristete Dauerstelle bekommen können. Das fordert auch niemand. Aber gerade auf Haushaltsstellen, für die es meist ohnehin eine längerfristige Finanzierung gibt, könnten deutlich längere Vertragslaufzeiten oder Entfristungen ermöglicht werden. Hier sehe ich ganz klar die Universitäten gefragt.

Sylvia Paletschek: Dafür braucht es die entsprechenden arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen, und es gilt, die Qualifikationsanforderungen zu überdenken. Vor 20 Jahren dauerte zum Beispiel im Fach Geschichte die Habilitationsphase durchschnittlich acht Jahre. Bei den Privatdozent*innen, die eine Professur erhielten, dauerte es im Durchschnitt circa vier Jahre, bis sie auf eine Stelle kamen. In Phasen, in denen es viele Bewerber*innen gab, verlängerte sich diese Wartezeit entsprechend.

Ich finde, die rechtlichen Bedingungen müssen heutzutage so gestaltet sein, dass es möglich ist, diese Zeit zu überbrücken und zu finanzieren. Deshalb brauchen wir, wie bereits oben dargestellt, für die einzelnen Disziplinen ein Monitoring, um zu schauen, wie lange Wissenschaftler*innen für Habilitation und Berufung benötigen. Wir brauchen diese Untersuchungen, denn diese Daten liegen uns bisher nicht systematisch vor. Das ist mein Wunsch an das Land und den Bund.

 

Austausch über akademische Karrierewege

Die Universität Freiburg eröffnet einen Dialog, in dem Promovierende, Postdocs und Professor*innen mit der Universitätsleitung in einen Austausch über Arbeitsbedingungen und Karrierewege in der Wissenschaft treten können. Das Prorektorat für Universitätskultur plant eine Auftaktveranstaltung im Oktober 2021, auf die im Laufe des Wintersemesters weitere Diskussionsveranstaltungen folgen werden. Um in diesen Austausch einzusteigen, lädt Prof. Dr. Sylvia Paletschek, Prorektorin für Universitätskultur, alle Mitglieder der Universität Freiburg ein, ihre Anliegen und Ideen zum Thema akademische Karrierewege und ihre Erfahrungen als Postdocs und Promovierende, aber auch ihre Einschätzungen als Professor*innen zu teilen. Alle Interessierten können ihre Beiträge bis zum 6. August per E-Mail schicken. Diesen Input wird Sylvia Paletschek mit ihrem Team aufbereiten. Dabei wird selbstverständlich sichergestellt, dass die Beiträge nicht personen-, sondern ausschließlich themenbezogen und damit anonymisiert ausgewertet werden.

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