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Großvater Krokodil

Im Inselstaat Osttimor werden die Reptilien als heilige Tiere verehrt – eine Studie der Universität Freiburg hat dieses Phänomen untersucht

Freiburg, 16.07.2019

Tiere werden in vielen Ländern verehrt: In Thailand beispielsweise sind es Elefanten, in Indien Kühe, die als heilig gelten. In Osttimor, einer Insel in Südostasien, ist es ein durchaus gefährlicheres Lebewesen: das Krokodil. Sebastian Brackhane, Doktorand an der Universität Freiburg, hat in einer Studie den kulturellen Status des Salzwasserkrokodils auf der Insel untersucht, um daraus Möglichkeiten für das Wildtiermanagement abzuleiten.


Gefährliche Heilige: Die Zahl der Krokodilattacken auf Menschen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Foto: The Ocean Agency/stock.adobe.com

 Langsam taucht ein Krokodil aus dem Fluss auf. Es sieht gefährlich aus, wie es halb im Wasser lauernd seine Umgebung in Augenschein nimmt. Doch die Schulkinder, die es von der Brücke aus beobachten, fürchten sich nicht, sondern rufen ihm fröhlich lachend in der Landessprache „Großvater Krokodil“ entgegen. So oder so ähnlich könnte sich eine Szene in dem südostasiatischen Inselstaat Osttimor abspielen, denn dort sind Krokodile heilig. Die Verehrung der Tiere geht auf den Gründungsmythos der Insel zurück. „Einst wurde ein kleiner Junge von einem Krokodil gerettet und danach von ihm durch die Welt getragen. Als das Krokodil starb, hat sich aus ihm die Insel Timor gebildet“, erzählt Sebastian Brackhane, Doktorand an der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Universität Freiburg. Brackhane beschäftigt sich seit Längerem mit dem Krokodilphänomen in Osttimor und hat bereits zwei Studien zu dem Thema veröffentlicht.

Trotz Verehrung – das Reptil bleibt gefährlich

Die besondere Beziehung zeigt sich nicht nur in dem Verbot, Krokodile zu töten, sowie im Spitznamen „Großvater Krokodil“, den die Inselbewohnerinnen und -bewohner dem Reptil verliehen haben, sondern auch in Bräuchen und Markenzeichen. „Es gibt zum Beispiel Rituale für die Salzwasserkrokodile, bei denen ihnen andere Tiere geopfert werden. Auf nationaler Ebene haben die Fußballmannschaft und die größte timoresische Telekommunikationsfirma Krokodile im Logo“, berichtet Brackhane. Doch das Verhältnis hat auch Schattenseiten: Die Zahl der Krokodilattacken auf Menschen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen.


Sebastian Brackhane entwickelt Lösungsansätze für das Miteinander von Mensch und Krokodil. Foto: Yusuke Fukuda

Wie viele Angriffe genau stattfinden, können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht sagen. Sie gehen im Schnitt von einer Attacke pro Monat und einer hohen Dunkelziffer aus. „In Osttimor mangelt es an allen Ecken und Enden an einem standardisierten Wildtiermanagement“, schildert der Forscher die Situation. Die tatsächliche Zahl der Angriffe dürfte nicht nur deswegen höher sein, sondern auch, weil die Einwohnerinnen und Einwohner die Krokodile als Richter der Natur sehen. „Die Menschen glauben, dass man etwas Böses gegen Mutter Natur getan habe, wenn man von einem Krokodil angefallen wird“, sagt Brackhane. „Wir nehmen an, dass über die Attacken nicht viel gesprochen wird, weil man damit Gefahr läuft, sozial ausgeschlossen zu werden.“

Das Warum bleibt vorerst ungeklärt

Von den Angriffen sind der gesamte Küstenstreifen und fast alle Binnengewässer betroffen, denn die Krokodilart kann in Süß- und Salzwasser leben. Die Tiere verwechseln Menschen nicht mit einer anderen Beute, wie es beispielsweise bei Weißen Haien der Fall ist. Vielmehr sind Menschen für die Salzwasserkrokodile eine natürliche Nahrungsquelle.

Die Ursachen für die vermehrten Angriffe kennen die Forscherinnen und Forscher nicht. Einen Zusammenhang mit der kulturellen Verehrung konnten sie nicht feststellen. „Wir gehen allerdings davon aus, dass der Gründungsmythos den Menschen ein falsches Sicherheitsgefühl gibt“, sagt Brackhane. Eine andere Ursache könnten zugewanderte Salzwasserkrokodile aus Australien sein, die durch die lange Reise besonders hungrig und aggressiv sind. „In Australien ist die Tragfähigkeit der Population erreicht – die Krokodile können sich dort nicht weiter vermehren, weil ihnen dafür die Nahrungsgrundlage fehlt. Nachkommende Generationen machen sich auf die Suche nach neuen Territorien und könnten auch nach Osttimor kommen.“ Die Option, dass migrierende Krokodile Schuld an den Angriffen sein könnten, untersucht Brackhane derzeit mit seinen australischen Kolleginnen und Kollegen.


Heiliger mit heiligem Krokodil: Der Glaube an Krokodile ist auch in die katholische Missionierungsarbeit auf Osttimor eingegangen. Foto: Sebastian Brackhane

Auf der Suche nach Lösungen

Die Jagd auf Krokodile ist verboten: Seit 2000 sind die Tiere per Gesetz geschützt. Doch eine Lösung, die die Attacken verhindert und im Einklang mit dem Glauben steht, muss schnell gefunden werden, um die Bewohner Osttimors zu schützen. Deshalb wird kurzfristig vor allem auf Aufklärung gesetzt. „Die lokale Krokodil-Task-Force hat schon Warnschilder an allen Gefahrenstellen aufgestellt und ist viel unterwegs, um Workshops zu geben“, sagt Brackhane. Langfristig gibt es verschiedene Möglichkeiten des Wildtiermanagements, mit der Situation umzugehen. Eine Option wäre es, Krokodile an Gefahrenstellen zu fangen und in speziellen Gehegen wieder auszusetzen, wie es in Australien schon geschieht. Eine andere: geschützte und getrennte Wasserbereiche für Mensch und Krokodil zu errichten und damit Begegnungen zu verhindern.

Lara Wehler