Die Kleinbauern ziehen den Kürzeren
Freiburg, 20.08.2018
Hilft Entwicklungshilfe wirklich? Diese Frage treibt die Freiburger Geografin Jasmin Marston um. In ihrer Doktorarbeit hat sie untersucht, welchen Einfluss das Geld und die Arbeit zahlreicher Organisationen vor allem aus den USA und Deutschland auf die Landwirtschaft in Ghana haben. Dafür hat sie 16 Monate im Land verbracht, 260 Interviews geführt und auf den Feldern in der Nordregion Ghanas gearbeitet. Ihre Ergebnisse sind wenig ermutigend.
Sojaernte im nördlichen Teil Ghanas. Foto: Jasmin Marston
Gut 50 Prozent der Bevölkerung in Ghana lebt von der Landwirtschaft. Trotzdem investiert die ghanaische Regierung nur wenig Geld in den Agrarsektor, sagt Jasmin Marston: „Durchschnittlich 60 Prozent des nationalen Landwirtschaftsbudgets stammte in den vergangenen 15 Jahren aus internationalen Quellen, vor allem von Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit.“ Diese Struktur habe einen enormen Einfluss auf die Landwirtschaft in Ghana, es entstehe ein eigenes System: „Mehrere meiner ghanaischen Gesprächspartner aus dem Agrarsektor haben es so formuliert: ‚Wer die Musik bezahlt, bestimmt auch, was gespielt wird‘“, erzählt Marston.
Mit Afrika beschäftigt sie sich schon lange: Nach einem Studium der Betriebswirtschaftslehre, einem Master in Internationalen Beziehungen und der Tätigkeit für ein Unternehmen in den USA reiste sie durch mehrere Länder Süd- und Ostafrikas. Die Idee zu ihrer Doktorarbeit entstand im Kongo: Für das Woods Hole Research Centre in Mbandaka arbeitete Marston am Aufbau eines Projekts zum Wald- und Klimaschutz mit. „Aber es kam mir nicht wirklich sinnig vor. Mir wurde immer deutlicher, wie wichtig die Rolle des Staats und der Einfluss der beteiligten Institutionen ist.“ So entwickelte sie ihr Forschungsvorhaben: „Aid and Agriculture“, Hilfe und Landwirtschaft, heißt die im Herbst 2017 an der Universität Freiburg eingereichte, 400 Seiten starke Arbeit, die eine politisch-ökonomische Analyse nachhaltiger Landwirtschaft in Ghana präsentiert.
„Kolonialismus 3.0“
Für das westafrikanische Land entschied sich Marston aus praktischen, vor allem aber aus inhaltlichen Gründen: Ghana ist englischsprachig, demokratisch regiert und politisch stabil. Die Landwirtschaft ist einer der wichtigsten Wirtschaftssektoren, und Ghana war 1957 das erste Land im subsaharischen Afrika, das die Unabhängigkeit erkämpfte. Die Geografin ist überzeugt, dass man den historisch-politischen Hintergrund des Landes mitbedenken muss, wenn man verstehen will, was in der Entwicklungszusammenarbeit wie funktioniert – oder eben nicht: „Für mich hat sich herausgestellt, dass der Kolonialismus noch immer in den Köpfen präsent ist.“
Das habe auch Einfluss auf die Zusammenarbeit zwischen Geldgebern und ghanaischen Institutionen. „Es ist ein Problem, wenn eine deutsche Praktikantin der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Ghana mehr verdient als ein Direktor im ghanaischen Landwirtschaftsministerium“, sagt sie. Einer ihrer Interviewpartner habe die Entwicklungshilfe im Land sarkastisch als „Kolonialismus 3.0“ bezeichnet. 16 Monate hat Marston in Ghanas Hauptstadt Accra und der ländlichen Nordregion geforscht. Für ihren interdisziplinären Ansatz sei es wichtig gewesen, Strukturen und Institutionen vor Ort kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen 260 Interviews mit Beamten, vor allem aus dem ghanaischen Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie mit Mitarbeiterinnen von Organisationen der Entwicklungshilfe, vor allem der deutschen GIZ und der United States Agency for International Development (USAID). Außerdem hat Marston vier Gruppendiskussionen mit Kleinbäuerinnen und -bauern geführt und selbst drei Monate bei einem mittelgroßen Soja-, Mais- und Reisbauern gearbeitet.
Denkmal in Accra: Präsident Kwame Nkrumah erkämpfte in den späten 1950er Jahren Ghanas Unabhängigkeit. Trotzdem wirken die Muster des Kolonialismus auch in der Entwicklungshilfe fort. Foto: demerzel21/Fotolia
Ernüchternde Ergebnisse
Ihre Ergebnisse sind wenig ermutigend: Es fließe zwar viel internationales Geld in Ghanas Landwirtschaftssektor; allein die von der Obama-Regierung gestartete Initiative „Feed the Future“ gegen Hunger und Armut in Afrika habe innerhalb von fünf Jahren 400 Millionen US-Dollar investiert. Doch bei den bedürftigen Kleinbauern komme davon wenig an. Ein nachhaltiger Wandel der Landwirtschaft, der ihnen nutzt, finde kaum statt: „Die Gelder bleiben oben hängen.“
Die Gründe dafür seien vielfältig. Die Idee, dass der Agrarsektor von der Privatwirtschaft angetrieben werden müsse, sei sehr verbreitet. Ziel der Entwicklungszusammenarbeit sei auch immer, den Markt zu öffnen: für Saatgut, Maschinen, landwirtschaftliche Chemikalien. Große Infrastrukturmaßnahmen zur Bewässerung, wie sie nur die Regierung auf den Weg bringen könne, gebe es dagegen kaum – auch weil die staatlichen Stellen den Geldgebern als wenig vertrauenswürdig gelten. Marston nennt als Beispiel ein verbessertes Netzwerk an Bewässerungskanälen, das den Kleinbauern nachhaltig helfen könnte, aber nicht gebaut werde.
Stattdessen bestimmten die lokalen Vertreter der ghanaischen Politik in wenig transparenten Verfahren mit, welche Großbauern vor Ort zum Beispiel mit einem Traktor gefördert würden. Auch hier zögen die Kleinbauern den Kürzeren, weil sie weder über die politischen Beziehungen verfügten noch den bürokratischen Aufwand stemmen könnten.
Weiter das Gespräch suchen
Dieses System aus Organisationen der Entwicklungshilfe, privaten Firmen und ghanaischer Politik und Verwaltung sei letztlich paternalistisch, sagt Marston: „Die Programme werden in den europäischen und amerikanischen Hauptstädten entworfen, und es wird erwartet, dass die Menschen vor Ort sie übernehmen.“ Was die Kleinbauern wirklich wollen oder brauchen, komme dabei kaum vor: „Ich habe den Eindruck, dass hier koloniale und auch rassistische Traditionen noch fortwirken“, sagt sie. Diese Kritikpunkte würden von den Beteiligten auch selbst diskutiert und tauchten etwa in der „Paris Declaration on Aid Effectiveness“ von 2005 und der „Accra Agenda for Action“ von 2008 auf. Viel passiert sei aber noch nicht.
Marston fordert, die Bevölkerung vor Ort stärker an Entscheidungen zu beteiligen, für mehr Transparenz zu sorgen – und mehr zu forschen: Die letzte umfassende Datenerhebung für die Landwirtschaft stamme aus dem Jahr 1985; Kleinbauern kämen auch in der Forschung bisher kaum vor. Im Frühjahr 2018 hat die Forscherin ihre Ergebnisse in Ghana präsentiert: an der University of Ghana, bei Entwicklungsorganisationen, vor einem Parlamentsausschuss. „Obwohl ich alle kritisiere, wurden meine Forschungsergebnisse überall sehr positiv aufgenommen“, sagt sie. „Eigentlich wissen alle, dass der Kaiser keine Kleider trägt – ich spreche es nur noch mal aus.“ Im Sommer reist sich wieder nach Ghana, für weitere Gespräche.
Thomas Goebel