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Algen statt Giftstoffe auf Hausfassaden

Interdisziplinäres Projekt NAVEBGO entwickelt Strategien, um den Einsatz von Bioziden in Fassadenfarben zu verringern

Freiburg, 03.08.2022

Viele Hausfassaden enthalten Biozide. Das sind Giftstoffe, die verhindern sollen, dass sich Algen und Schimmelpilze an den Wänden bilden. Durch Regenwasser können diese Biozide aus den Fassadenfarben ausgewaschen werden und ihren Weg ins Grundwasser finden. „Manche dieser Giftstoffe stammen aus der Landwirtschaft und sind dort inzwischen als Pestizide verboten – aber an Fassaden werden sie weiter eingesetzt“, sagt Prof. Dr. Jens Lange, Hydrologe an der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Universität Freiburg. Ein von ihm geleitetes interdisziplinäres Projekt hat nun Strategien entwickelt, den Einsatz solcher Stoffe in Fassadenfarben zu verringern.

Abtropfendes Wasser an einer HausfassadeFassaden-Beregnungsversuch im Freiburger Stadtteil Vauban. Die Forschenden konnten Biozide und Transformationsprodukte im abtropfenden Wasser messen. Foto: Jens Lange

„Für unser Projekt haben wir mit Soziolog*innen der Universität Straßburg zusammengearbeitet“, sagt Prof. Dr. Jens Lange, „denn wir haben schon in Vorgängerprojekten gemerkt, dass es bei diesem Thema nicht nur auf technische Lösungen ankommt.“ So haben die Straßburger Forscher*innen unter anderem Menschen dazu befragt, welche Bedeutung das Aussehen ihrer Hausfassade für sie hat und Malerfirmen zu ihren Arbeitsweisen interviewt. Auch die Universität Lüneburg, die Universität Koblenz-Landau und ein Ingenieurbüro waren beteiligt an dem 2019 gestarteten, EU-finanzierten INTERREG-Projekt „Nachhaltige Verringerung des Biozideintrags in das Grundwasser am Oberrhein“, kurz: NAVEBGO.

„Vor allem bei Schlagregen können Biozide abgewaschen werden und mit dem ablaufenden Wasser in die Umwelt gelangen“, erklärt Dr. Marcus Bork, ebenfalls Hydrologe an der Universität Freiburg, der das Projekt koordiniert hat. Neuere Wohngebiete besitzen meist getrennte Abwassersysteme: Das schmutzige Brauchwasser aus den Gebäuden läuft über die Kanalisation in die Kläranlage, der Regen aber versickert zum Beispiel in Kiesflächen neben der Hauswand oder in so genannten Versickerungsgruben. Eigentlich eine gute Sache – so kommt das wertvolle Regenwasser Pflanzen und dem Grundwasser zugute. Enthält das Wasser allerdings ausgewaschene Biozide, wird das zum Problem, zumal diese zum Teil zu Transformationsprodukten abgebaut werden: „Ein Biozid kann zu einem ganzen Blumenstrauß an neuen Substanzen werden, die manchmal noch giftiger für die Umwelt sind als das Ausgangsprodukt“, sagt Bork.

Nachweis von Bioziden im Grundwasser

Das Grundwasser ist besonders gefährdet, wenn es oberflächennah ist, der Regen also nur wenig durch Erdschichten gefiltert wird. Das ist zum Beispiel im Freiburger Stadtteil Vauban der Fall, wo die Forscher*innen tatsächlich gängige Biozide im Grundwasser nachweisen konnten. Solche Stoffe und ihre Abbauprodukte etwa durch Filteranlagen wieder aus dem Wasser zu entfernen, sei „nahezu unmöglich“, sagt Lange: „Deshalb hat unser Projekt quasi an der Quelle angesetzt – und Maßnahmen entwickelt, um diese Substanzen möglichst gar nicht mehr zu verwenden.“

Eine wichtige Rolle spiele dabei die Wahrnehmung der Hausbewohner*innen: Algen und Pilze schadeten einer Fassade zwar baulich nicht, sagt Lange. Aber auf viele Menschen wirkten bewachsene Hauswände ungepflegt und zum Teil auch unsicher – und dieser Eindruck übertrage sich oft auf die Personen, die in den Häusern leben, sagt Lange: „Sie fühlen sich in ihren Wohnungen nicht mehr wohl.“ Entsprechend werde von Malerfirmen verlangt, für eine von Schimmel und Algen freie Fassade zu sorgen. Dafür verwendeten die Firmen häufig Fertigprodukte ihrer Lieferanten, zum Beispiel einen Silikonharz-Putz samt integrierten Bioziden als so genannter Filmschutz: „Die Handwerker*innen wissen oft gar nicht genau, was da alles drin ist.“

VersickerungsmuldeVersickerungsmulde im Freiburger Stadtteil Wiehre. Auch hier waren Biozide nachweisbar, wenn auch in geringen Konzentrationen. Foto: Jens Lange

Vorschläge an Politik zur Regulierung

Um den Einsatz von Bioziden an Fassaden zu reduzieren, schlägt das Projekt daher ein Bündel unterschiedlicher Maßnahmen vor. Zum einen könne die Politik regulatorisch eingreifen, sagt Lange, und Umwelt-Labels wie den „Blauen Engel“ ausbauen und fördern, biozidhaltige Produkte verteuern oder letztlich verbieten. Auch könne sie die Gewährleistungspflicht für Malerfirmen ändern: „So wie bei Holzbauten – da sind auch die Eigentümer*innen für den Unterhalt verantwortlich.“

Im Handwerk könnten traditionelle Techniken wieder gefördert werden: „Es gibt klassische Produkte auf Mineral-Basis statt auf Erdöl-Basis, die alkalischer und atmungsaktiv sind und kaum Pilze und Algen wachsen lassen – sie sind nur etwas aufwendiger zu verarbeiten“, sagt Lange. Und schließlich könne man auf einen Bewusstseinswandel und Innovation setzen: „Wenn man bewusst Mikroalgen auf die Fassade aufbringt, die im Sommer für Kühlung sorgen und zu einem guten Stadtklima beitragen, dann sind sie keine Feinde mehr, die man bekämpfen muss.“

Algen und Pilze als Teil des Stadtökosystems der Zukunft

Bei der Abschlussveranstaltung des Projekts habe es viel Interesse etwa von Architekt*innen für solche Modelle gegeben; die Stadt Freiburg fördere bereits Projekte zur Fassadenbegrünung, die einen ähnlichen Effekt hätten. Auch das Bundesumweltamt habe bereits Interesse an den Ergebnissen gezeigt. „Wir wollen mit dem Projekt einen Beitrag leisten auf dem Weg in eine biozidfreie Stadt“, sagt Lange. „Unsere Vision ist es, dass Algen und Pilze nicht als Schädlinge angesehen werden, sondern als Teil des Stadtökosystem der Zukunft.“

Thomas Goebel