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Spiegelmoleküle verraten Trockenstress von Wäldern

Veränderungen von Ökosystemen lassen sich über die Emissionen chiraler Verbindungen genauer vorhersagen

Freiburg, 20.09.2022

Weltweit geben Pflanzen etwa 100 Millionen Tonnen an Monoterpenen an die Atmosphäre ab. Zu diesen flüchtigen organischen Molekülen zählen viele Duftstoffe wie beispielsweise das Molekül Pinen, das für seinen frischen Kiefernduft bekannt ist. Da diese Moleküle sehr reaktiv sind und winzige Aerosolpartikel bilden können, die zu Kondensationskernen für Regentropfen anwachsen können, spielen die natürlichen Emissionen eine wichtige Rolle für unser Klima. Für Klimavorhersagen ist es daher wichtig zu wissen, wie sich Monoterpen-Emissionen bei steigenden Temperaturen verändern werden.

Wie bei Pinen kommen viele Monoterpene in zwei spiegelbildlichen Formen vor: (+) alpha-Pinen und (-) alpha-Pinen. Pflanzen können beide Formen dieser volatilen Moleküle direkt nach der Biosynthese oder aus Speichern in den Blättern freisetzen. Da die beiden chiralen beziehungsweise enantiomeren Formen identische physikalische und chemische Eigenschaften haben, werden sie in Atmosphärenmodellen oft nicht separat betrachtet. In einer neuen Studie, die soeben in Nature veröffentlicht wurde, konnten Forschende unter Leitung des Max-Planck-Instituts (MPI) für Chemie jedoch zeigen, dass die beiden spiegelbildlichen Moleküle über verschiedene Prozesse in der Pflanze freigesetzt werden und dass sie unterschiedlich auf Stress, insbesondere bei Trockenheit, reagieren.

Drei Monate Trockenstress im künstlichen Regenwald

Die Ergebnisse stammen aus Experimenten, die in einem geschlossenen künstlichen tropischen Regenwald in Arizona durchgeführt wurden: dem Biosphäre 2-Komplex. Die Anlage wurde ursprünglich gebaut, um ein sich selbst erhaltendes Ökosystem zu schaffen. Sie ermöglichte es, einem Team von Wissenschaftler*innen der Universität Freiburg, der Universität von Arizona und des Max-Planck-Instituts für Chemie, die chemischen und klimatischen Bedingungen des Waldes genau zu kontrollieren und seine Reaktionen zu messen. Drei Monate lang setzte das Forschungsteam den Wald unter mäßigen und anschließend starken Trockenstress. Durch ein Markierungsexperiment unter Leitung von Prof. Dr. Christiane Werner von der Universität Freiburg und Kolleg*innen (#B2WALD) konnten die Reaktionen der Pflanzen und Synthese von volatilen Stoffen verfolgt werden.

Mit Hilfe von Gaschromatografen ermittelte Joseph Byron, Doktorand am MPI für Chemie, stündlich die Emissionen von alpha-Pinen, Camphen, Limonen, Terpinen und Isopren. Da er und seine Kolleg*innen herausfinden wollten, wann die Pflanzen welche chirale Form verströmen, nutzten sie die Fotosynthese: Sie ließen zu bestimmten Zeiten „schweres“ Kohlendioxid (13CO2) in die Luft der Biosphäre einströmen. Ein Kohlenstoffatom des Kohlendioxids enthielt ein zusätzliches Neutron, war also isotopisch markiert und gab so Aufschluss über den pflanzlichen Stoffwechsel. An der Freiburger Professur für Ökosystemphysiologie unter Leitung von Werner und Dr. Jürgen Kreuzwieser verfolgte das Team dann mit einem an den Chromatografen gekoppelten Massenspektrometer, welche Monoterpene schwere Kohlenstoffatome enthielten und welche nicht.

Schweres Kohlendioxid gibt Einblick in den pflanzlichen Stoffwechsel

„Zu unserem Erstaunen verhielten sich viele Spiegel-Moleküle bei Trockenstress unterschiedlich“, kommentiert Erstautor Joseph Byron. „So war (-) alpha-Pinen markiert, (+) alpha-Pinen, was wir gleichzeitig gemessen haben, hingegen nicht.“ Das bedeutet, dass das Ökosystem des tropischen Regenwaldes (-) alpha-Pinen direkt nach der Synthese abgibt, während das Spiegelmolekül aus Speichern der Pflanze stammt.

Außerdem stellten die Forschenden fest, dass mit fortschreitender Trockenheit nicht nur mehr Monoterpene freigesetzt wurden, sondern sich auch das Maximum der Emissionen immer weiter in den Nachmittag verschob und die Pflanzen mehr Monoterpene aus Speicherpools freisetzten. Und das könnte einen Grund haben, vermutet Projektleiter und Atmosphärenforscher Jonathan Williams: „Vermutlich erhöht die spätere Freisetzung der Monoterpene die Wahrscheinlichkeit, dass sich über dem Wald Wolken bilden. Denn je wärmer es im Lauf des Tages wird, um so mehr nimmt die vertikale Durchmischung der Luft zu. Dadurch gelangen die reaktiven flüchtigen Stoffe in höhere Luftschichten und haben dort eine größere Chance, zu Aerosolpartikeln und schließlich zu Wolkenkondensationskernen zu werden.“

Wichtige Erkenntnisse für den Amazonasregenwald

Der Max-Planck-Forscher Williams resümiert aus den Biosphäre 2-Untersuchungen: „Um genaue Vorhersagen über die Reaktionen eines Ökosystems auf Stress treffen zu können, sollten wir zukünftig Emissionen von chiralen Molekülen getrennt messen und modellieren. Das ist besonders für den Amazonasregenwald wichtig, für den Klimamodelle mehr Dürren voraussagen.“ Der Gruppenleiter vom MPI für Chemie in Mainz ergänzt: „Ich bin davon fasziniert, dass wir über die Messung der Luftzusammensetzung interne, enzymatisch angetriebene physiologische Prozesse des Waldes entschlüsseln können. Dies wird uns sicher helfen, auch Effekte aufzuklären, die wir im echten Regenwald beobachtet haben.“ Williams Team forscht seit Jahren auch im brasilianischen Regenwald am Amazon Tall Tower Observatory ATTO.

Faktenübersicht:

  • Originalpublikation: Byron, J. Kreuzwieser, J., Purser, G.,  van Haren, J., Ladd, S. N., Meredith, L. K., Werner, C., Williams, J. (2022): Chiral monoterpenes reveal forest emission mechanisms and drought responses. In: Nature. DOI: 10.1038/s41586-022-05020-5
  • Die Arbeit entstand in Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz, der Universität Freiburg und der Universität von Arizona/USA. Am gesamten Dürreexperiment war ein interdisziplinäres Team von etwa 80 Forschenden beteiligt.
  • Die Arbeit des Max-Planck-Instituts für Chemie wurde zum Teil durch das EU-Projekt ULTRACHIRAL finanziert, die des Teams der Universität Freiburg durch einen ERC Consolidator Grant.
  • Weitere Publikation: Christiane Werner et al., Ecosystem fluxes during drought and recovery in an experimental forest, Science, December 17, 2021, DOI 10.1126/science.abj6789

 

Kontakt:
Prof. Dr. Christiane Werner
Professur für Ökosystemphysiologie
Institut für Geo- und Umweltwissenschaften
Fakultät für Umwelt und natürliche Ressourcen
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203- 8301
E-Mail:

Annette Kollefrath-Persch
Hochschul- und Wissenschaftskommunikation
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-8909
E-Mail: