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Rock’n’Roll-Held mit Bauchschmerzen

Anglistin und Helden-Forscherin Nicole Falkenhayner über „Nirvana“-Sänger Kurt Cobain

Freiburg, 09.02.2017

Rock’n’Roll-Held mit Bauchschmerzen

Kohlezeichnung von Kurt Cobain. Bild: marieswartz/Flickr.com

Am 20. Februar 2017 wäre Kurt Cobain, der 1994 verstorbene Sänger der US-amerikanischen Band Nirvana, 50 Jahre alt geworden. „Heldinnen und Helden und ihr Publikum schaffen sich gegenseitig“, erklärt die Freiburger Forscherin Dr. Nicole Falkenhayner. „Seltener ist die paradoxe und widerständige Heroisierung, wie sie der letzte große Poet des Rock’n’Roll, Kurt Donald Cobain, erfahren hat.“ Widerständige Helden möge es zwar viele gegeben haben, doch bei wenigen war das absolute Genervtsein und die moralisch empfundene Falschheit der eigenen Berühmtheit gerade der zentrale Punkt der eigenen Heroisierung, so Falkenhayner. „Aber Kurt Cobain wurde gerade dafür berühmt, dass er die eigene Berühmtheit so rundheraus ablehnte und weil diese Ablehnung so bezeichnend ist für die Haltung, die er mit Nirvana ausdrückte.“

Cobain war der Held des postheroischen Zeitalters, erläutert die Anglistin. „In den frühen 1990er Jahren stieg mit der Rockmusik aus Seattle eine Geisteshaltung in den Mainstream der globalisierten Popkultur, die eigentlich die Fundamente ihrer eigenen Herkunft ablehnte: Oberfläche, Glitzer, Kommerzialität, die kokaingeschwängerte Aufgeblasenheit der 1980er Jahre und das Wissen, das es darunter nichts mehr gibt, was eine nachhallende Bedeutung hat, bestimmten den Ton, mit dem Nirvana und der – zu seinem Leidwesen – charismatische Cobain über die Fernsehbildschirme flimmerten.“ Die Abgerissenheit und der basale Druck der Musik dieser Band sowie die existentielle  Verzweiflung an der Gegenwart, die die Texte Cobains ausdrücken, hätten den Nerv einer Generation von Heranwachsenden getroffen.

Ihre Breitenwirkung habe „Grunge“ als letzte Großbewegung des Rock jedoch nur erzielt, weil Nirvana in die Hochzeit des Musiksenders MTV fiel, was ebenfalls Teil der Paradoxie des Helden Cobains war: Anfang der 1990er Jahre war dieser Sender groß genug für globale Erreichbarkeit, aber noch durchlässig genug, um ein Phänomen wie Nirvana auftauchen zu lassen. „Und MTV braucht Stars – mit Cobain bekommt es mehr: Er kann als Held, ja Prophet einer Generation verkauft werden. Fast schon klischeehaft geht er an dieser Anmaßung zugrunde – am Ende vielleicht, weil er das alles ernster genommen hat, als er jemals zugegeben hätte.“

Der Suizid im April 1994, mit dem er sich in den Club der jungen Unsterblichen katapultiert habe, habe eine ganze Generation erschüttert. „Rückblickend erscheint dieser Selbstmord auch als Kulminationspunkt eines popkulturellen Systems, das sich mit zunehmender Digitalisierung und Diversifizierung nahezu selbst abschafft“, sagt Falkenhayner. „Eine dermaßen integrative Figur wie Kurt Cobain – oder die großen Figuren der 1980er Jahre, die sehr gern Helden waren, wie Michael Jackson oder Prince – hat es auch deswegen nicht mehr gegeben, weil Subgenres und Subkulturen sich im Netz abspielen und jeder mit wenig Aufwand Musik machen kann. Vielleicht wäre Cobain selbst, der letzte, von Bauchschmerzen geplagte Held des Rock’n’Roll, sogar lieber ein Held im Netz gewesen.“

Nicole Falkenhayner ist Akademische Rätin am Englischen Seminar der Universität Freiburg und Mitarbeiterin des Sonderforschungsbereichs 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen. Transformationen und Konjunkturen von der Antike bis zur Moderne“. Zu ihren Themenschwerpunkten gehören unter anderem das Heroische in britischen Fernsehserien des 21. Jahrhunderts und Überwachung in britischen fiktionalen Werken.