Massenrohstoff Mensch
Freiburg, 26.06.2017
Vor 30 Jahren, am 11. Juli 1987, kam der fünfmilliardste Mensch auf die Welt. Heute bevölkern fast 7,5 Milliarden Menschen die Erde und bis 2050 soll die Zahl auf knapp zehn Milliarden steigen. Immer wieder heißt es, das Bevölkerungswachstum bringe enorme Probleme für Mensch und Natur mit sich. „Übersehen wird in der Debatte, dass die menschliche Nachfrage an natürlichen Ressourcen die Kapazität der Erde, diese zu reproduzieren, bereits seit den 1970er Jahren übersteigt“, sagt Privatdozentin Dr. Lena Partzsch von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Dies liege jedoch nicht am Bevölkerungswachstum, sondern an nicht-nachhaltigen Konsumweisen, zum Beispiel Auto- statt Fahrradfahren, im globalen Norden und zunehmend auch im globalen Süden.
Deutschland und die Europäische Union (EU) seien aufgrund der Art und Weise ihres Konsums in hohem Maße auf den Import von Rohstoffen angewiesen. Dabei gehe deren Gewinnung und Verarbeitung in vielen Fällen mit sozialen und ökologischen Problemen in den Herkunftsstaaten einher. Beispiel Palmöl: Die 2009 von der EU verabschiedete Erneuerbare-Energien-Richtlinie sieht vor, den Anteil von Agrarkraftstoffen wie Ethanol und Biomasse-basiertem Diesel im Verkehrssektor bis 2020 auf zehn Prozent zu erhöhen. „Unmittelbar nach Inkrafttreten der Richtlinie stiegen die Palmölexporte allein aus Indonesien innerhalb eines Jahres von 2010 auf 2011 um 117 Prozent an“, erläutert Partzsch. Zum Anbau von Palmöl werden dort Regenwald gerodet und Flächen, die zuvor der Nahrungsmittelproduktion dienten, umgewandelt. Studien zeigten zudem, dass zur Herstellung eines Liters Palmöl-basierten Diesels in Indonesien etwa 5.165 Liter Wasser benötigt werden.
Unternehmerische Sorgfaltspflichten und Zertifizierungssysteme erlaubten es Unternehmen, Risiken etwa in Form von Wasserübernutzung in globalen Lieferketten zu erkennen, zu managen und langfristig zu adressieren. Immer mehr Unternehmen versuchen beispielsweise klimaneutral zu produzieren. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie schreibt verbindlich vor, dass die Agrarkraftstoffe, die zum Zehn-Prozent-Ziel beitragen, durch bestimmte Initiativen als nachhaltig zertifiziert sein müssen – auch wenn die Rohstoffe in Drittländern wie Indonesien angebaut werden. Im Projekt „Bio-Macht“ untersuchen Wissenschaftlerinnen der Universität Freiburg im Verbund mit dem Freiburger Öko-Institut e.V. solche Steuerungsansätze. „Bisher sind die verbindlichen Mindestkriterien jedoch nicht sehr weitgehend. Wasser wird beispielsweise nur insofern berücksichtigt, als dass keine Moore zum Palmölanbau trockengelegt werden sollen“, erklärt Partzsch. Dabei konnten erhebliche Unterschiede zwischen den Zertifizierungsinitiativen festgestellt werden. „Zertifizierungskriterien, die unter Beteiligung von Umweltverbänden formuliert wurden, haben deutlich strengere Kriterien als nur von der Industrie allein formulierte.“
Nach einem neuen Vorschlag der Europäischen Kommission soll der Anteil der Agrartreibstoffe bis 2030 weiter gesteigert werden. Ziel des Projektes „Bio-Macht“ sei es, Handlungsempfehlungen hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen von unternehmerischen Sorgfaltspflichten und Zertifizierungssystemen in den globalen Wertschöpfungsketten von biogenen Massenrohstoffen wie Palmöl zu formulieren. „Wenn die Geburtenraten im globalen Süden aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung zurückgehen, ist das nicht unbedingt ein positiver Trend. Denn es geht nicht darum, ob fünf oder zehn Milliarden Menschen auf diesem Planeten leben, sondern darum, wie mit seinen Ressourcen nachhaltig und gerecht gewirtschaftet wird.“
Lena Partzsch ist Privatdozentin mit Lehrberechtigung für Umwelt- und Entwicklungspolitik an der Universität Freiburg und Sprecherin des Arbeitskreises Umweltpolitik/Global Change der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW).
PD. Dr. Lena Partzsch
Professur für Sustainability Governance
Institut für Umweltsozialwissenschaften und Geographie
Tennenbacher Str. 4
D-79106 Freiburg
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