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Wann ist ein Leiden unerträglich?

Interdisziplinäre Studie zu Leidenskonzepten und ihrer Bedeutung für die medizinische Praxis

Freiburg, 19.07.2018

Wann ist ein Leiden unerträglich?

Foto: Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Palliativmedizin

Wann ist ein Leiden unerträglich? Für ein Behandlungsteam in der Palliativmedizin stellt diese medizinische und ethische Frage eine besondere Herausforderung in der Versorgung dar. Dr. Claudia Bozzaro vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Freiburg und Prof. Dr. Jan Schildmann, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Halle-Wittenberg, haben Probleme bei der Anwendung des Leidensbegriffs in der medizinischen Praxis untersucht. Erste Ergebnisse der interdisziplinären Untersuchung haben sie in der Fachzeitschrift „Journal of Pain and Symptom Management (JPSM)“ veröffentlicht.

„Der stark unterbeleuchtete Leidensbegriff führt oft zu Problemen und Handlungsunsicherheit in der Praxis bei der palliativen Sedierung“, sagt Bozzaro. Viele Diskussionen über die Angemessenheit einer Sedierung am Lebensende von Patientinnen und Patienten beruhten auf einer ungeklärten Vorstellung der Eigenschaften des Leidens.

Bozzaro und Schildmann haben zwei unterschiedliche Leidenskonzepte, ein subjektives und ein objektives, und deren Bedeutung für die Entscheidungsfindung in der klinischen Praxis untersucht. Sie haben gezeigt, dass beispielsweise die Frage, wer über eine Sedierung entscheiden soll, unterschiedlich ausfällt – je nachdem, welches Konzept man anwendet: Beim subjektiven Leidenskonzept liegt die Entscheidung beim Patienten, der somit den Einsatz einer medizinischen Maßnahme einfordern könnte. Geht man von einem objektiven Leidenskonzept aus, würde die Entscheidung beim behandelnden Team liegen. Letzteres könnte mit der Gefahr einhergehen, über eine Person hinweg zu entscheiden, was das Beste für diese sei. Sollten neben körperlichen Leiderfahrungen wie Schmerz oder Atemnot auch so genannte psycho-existentielle oder spirituelle Leiderfahrungen medizinisch behandelt werden? Auch diese Frage wird je nach Leidenskonzept unterschiedlich beantwortet: Dem subjektiven zufolge müssten alle Leiderfahrungen gleichermaßen als Gegenstand einer medizinischen Indikation angesehen werden, während das objektive eine Grundlage für eine Differenzierung unterschiedlicher Leidenserfahrungen liefert.

Bozzaro befasst sich seit längerer Zeit mit dieser Problematik in der Medizin aus der ethischen Perspektive. Schildmann, mit dem sie die unterschiedlichen Leidensbegriffe und die daraus resultierenden Probleme für den Klinikalltag überprüfte, stand ihr mit seiner Praxiserfahrung zur Seite. Beide sind sich einig, dass die Studie allerdings noch einige Fragen offen lässt, die weiterer theoretischer und empirischer Untersuchungen bedürfen. Ziel wäre, eine Definition des Leidensbegriffs zu finden, die die aufgezeigten Schwierigkeiten lösen kann und somit eine verlässliche Handreichung gegen die Handlungsunsicherheiten in der medizinischen Praxis liefert. Die Arbeit zeige zudem, dass sich viele Fragen nur im Dialog von Theorie und Praxis beantworten lassen. 2017 wurde Bozzaro für ihre Forschungsarbeit zu Konzepten des Leidens und des Schmerzes mit dem Albert-Bürklin-Preis der Wissenschaftlichen Gesellschaft Freiburg ausgezeichnet.

Originalveröffentlichung
Bozzaro, C./Schildmann, J. (2018): „Suffering“ in Palliative Sedation: Conceptual Analysis and Implications for Decision Making in Clinical Practice. In: Journal of Pain and Symptom Management 56/2, S. 288-294.
https://doi.org/10.1016/j.jpainsymman.2018.04.003

 

Kontakt:
Dr. Claudia Bozzaro
Institut für Ethik und Geschichte der Medizin
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-5040
E-Mail: