Wie komplexe Zellen entstanden sind
Freiburg, 19.12.2016
Dies gefärbte Rasterelektronenmikroskopie-Aufnahme zeigt den einzelligen Parasiten Trypanosoma brucei (blau) zusammen mit einem roten Blutkörperchen. Quelle: C. Jackson, University of Helsinki
Mitochondrien sind die Kraftwerke komplexer Zellen und versorgen sie mit Energie. Dazu benötigen sie Proteine, die sie von außen importieren. Ein deutsch-schweizerisches Team um Prof. Dr. Bettina Warscheid von der Universität Freiburg und Prof. Dr. André Schneider von der Universität Bern hat herausgefunden, dass sich die dafür notwendigen Protein-Import-Maschinen über Milliarden von Jahren anders entwickelt haben als bisher angenommen. Mit ihrer Studie, die in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ erschienen ist, liefern die Forscherinnen und Forscher neue Erkenntnisse zur Entstehung der Mitochondrien – einem der wichtigsten Ereignisse der Evolution und Grundlage für die Entwicklung komplexer eukaryotischer Zellen, aus denen die heutigen Pflanzen, Tiere, viele Mikroorganismen und Menschen bestehen.
Mitochondrien sind durch zwei Membranen vom Rest der Zelle getrennt. Um Energie zu produzieren, müssen sie Proteine durch beide Membranen transportieren. Dafür sind zwei Import-Nanomaschinen verantwortlich, die sich in der äußeren und in der inneren Membran befinden. Das Team hat unter Einsatz hochauflösender Massenspektrometrie gezeigt, dass diese Nanomaschinen bei einzelligen Parasiten anders aufgebaut sind als beim Menschen. Die Parasiten – Trypanosomen – haben einen alternativen Weg eingeschlagen, wie die Forscher bereits in einer früheren Studie über die Import-Maschine in der äußeren Membran der Mitochondrien entdeckt hatten. Diese Erkenntnis gilt jetzt auch für die Import-Maschine in der inneren Membran der Mitochondrien, deren ungewöhnliche Proteinzusammensetzung nun entschlüsselt wurde. Die Annahme, dass die Import-Nanomaschinen aller Mitochondrien gleich aufgebaut sind, egal ob bei Einzellern oder höheren Organismen einschließlich des Menschen, stimmt somit nicht. Die Vorstellungen, wie die Mitochondrien sich entwickelt haben, müssen daher überdacht und modifiziert werden.
Das Mitochondrium bildete sich aus einer einfachen Bakterienzelle, die vor etwa zwei Milliarden Jahren von einer größeren Zelle aufgenommen und dann in ein Zellkompartiment, einzeln abgetrennte Reaktionsräume, umgewandelt wurde. Eine zentrale Voraussetzung für die Entstehung der Mitochondrien und somit für die Evolution komplexer Zellen war die Entwicklung einer effizienten Protein-Importmaschinerie. Bisherige Annahmen gingen davon aus, dass diese einmal entwickelt und danach nur noch leicht den Lebensbedingungen der jeweiligen Organismen angepasst wurde. Die neuen Daten zeigen: Zwar sind diese Import-Nanomaschinen sowohl bei Trypanosomen als auch beim Menschen aus etwa 15 verschiedenen Proteinen aufgebaut, die Bestandteile weisen jedoch bis auf drei Proteine keinerlei Ähnlichkeit miteinander auf. Das macht deutlich, dass das System in den Trypanosomen bis auf drei Grundkomponenten neu erfunden wurde. Die Entdeckung deutet darauf hin, dass die erste komplexe Zelle nur ein einfaches Importsystem besaß, aus dem in einem langwierigen Prozess eine hochentwickelte Import-Nanomaschine entstand. Die heutigen effizienten, aus vielen verschiedenen Modulen bestehenden Importsysteme haben sich also später als ursprünglich angenommen entwickelt, nachdem eine erste „Artenbildung“ von komplexen Zellen schon stattgefunden hatte.
Trypanosomen sind nicht nur ein wichtiges Modellsystem für die Grundlagenforschung, sondern als Erreger der unbehandelt tödlich verlaufenden Schlafkrankheit auch von großer klinischer Bedeutung. Das neuentdeckte Proteinimportsystem ist für das Überleben der Trypanosomen notwendig. Da es anders aufgebaut ist als das System in menschlichen Mitochondrien, könnte es sich für eine Chemotherapie gegen die Schlafkrankheit eignen: Es sollte möglich sein, Substanzen zu finden, die das überlebenswichtige Transportsystem der Trypanosomen hemmen, ohne das der menschlichen Mitochondrien zu beeinflussen.
Bettina Warscheid ist Leiterin der Abteilung Biochemie und Funktionelle Proteomik an der Fakultät für Biologie der Albert-Ludwigs-Universität und Professorin des Freiburger Exzellenzclusters BIOSS Centre for Biological Signalling Studies.
Originalpublikation:
A. Harsman, S. Oeljeklaus, C. Wenger, J. L. Huot, B. Warscheid# und A. Schneider#. The non-canonical mitochondrial inner membrane presequence translocase of trypanosomatids contains two essential rhomboid-like proteins, Nature Communications, 19. Dezember 2016, in press. (#Diese Autoren sind zu gleichen Teilen beteiligt.)
Kontakt:
Prof. Dr. Bettina Warscheid
Institut für Biologie II
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-2690
E-Mail: bettina.warscheid@biologie.uni-freiburg.de
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