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Spätantike Kleine Eiszeit

Vor 1.500 Jahren herrschte eine drastische Kälteperiode in Eurasien, die politische Umwälzungen bewirkt haben könnte

Freiburg, 09.02.2016

Spätantike Kleine Eiszeit

Dank alter Bäume im Altai-Gebirge konnten die Forscher die Sommertemperaturen der vergangenen 2.000 Jahre rekonstruieren. Foto: Vladimir S. Myglan

Wie verhalten sich Menschen, wenn sich eine heftige Kälteperiode ausbreitet? Wie wirken sich zum Beispiel Völkerwanderungen auf politische Ordnungen und die Verbreitung von Sprache und Kultur aus? Der Forstwissenschaftler Dr. Willy Tegel hat mit seinem Team von der Universität Freiburg und Kolleginnen und Kollegen aus der Schweiz erstmals präzise die Sommertemperaturen der vergangenen 2.000 Jahre in Zentralasien rekonstruiert. Die Forscherinnen und Forscher haben anhand von Jahrringmessungen herausgefunden, dass zwischen 536 und etwa 660 nach Christus eine drastische Abkühlung in Eurasien herrschte, die sich zeitlich mit der Justinianischen Pest sowie mit politischen Umwälzungen und Völkerwanderungen in Europa und in Asien überlagerte. Das Team bezeichnet die entdeckte Periode als „Spätantike Kleine Eiszeit“ (Late Antique Little Ice Age, LALIA). Die Ergebnisse der fachübergreifenden Studie sind nun im Fachjournal „Nature Geoscience“ erschienen.

Tegel und sein Schweizer Kollege Dr. Ulf Büntgen untersuchten Jahrringmessungen aus dem Altai-Gebirge in Russland. Aus der Breite der Jahrringe konnten sie die sommerlichen Klimabedingungen der Vergangenheit jahrgenau ableiten. Das Team erkannte eine Kälteperiode im 6. Jahrhundert, die noch kälter, länger und großräumiger war als die bisher bekannten Temperatureinbrüche innerhalb der „Kleinen Eiszeit“ zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert. „LALIA war die stärkste Abkühlung auf der Nordhalbkugel während der vergangenen 2.000 Jahre“, sagt Tegel. „Auslöser waren drei große Vulkanausbrüche in den Jahren 536, 540 und 547 nach Christus, deren Auswirkung auf das Klima durch die verzögernde Wirkung der Ozeane und ein Minimum der Sonnenaktivität noch verlängert wurde.“ Das Team aus Natur-, Geschichts- und Sprachforschern macht auf viele gesellschaftliche Umwälzungen aufmerksam, die in diese Periode fallen. Nach Hungersnöten etablierte sich zwischen 541 und 543 die Justinianische Pest, die in den folgenden Jahrhunderten Millionen von Menschen dahinraffte und vermutlich zum Ende des Oströmischen Reichs beitrug.

In die von den Römern verlassenen Gebiete im Osten des heutigen Europas wanderten Frühslawisch sprechende Menschen ein, vermutlich aus den Karpaten, und definierten den slawischen Sprachraum. Auch die Expansion des Arabischen Reichs in den Mittleren Osten könnten von der kühlen Periode begünstigt worden sein. Auf der arabischen Halbinsel gab es mehr Regen, mehr Vegetation und somit mehr Futter für Kamelherden, welche die arabischen Armeen für ihre Kriegszüge nutzten. In den kühleren Gebieten Zentralasiens wanderten einzelne Völker auch nach Osten in Richtung China, vermutlich wegen eines Mangels an Weideland. In den Steppen Nordchinas kam es folglich zu Konflikten zwischen Nomaden und den dort herrschenden Mächten. Eine Allianz der Steppenvölker mit den Oströmern besiegte das persische Großreich der Sassaniden und führte zu dessen Untergang.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen jedoch, dass Zusammenhänge zwischen der Kälteperiode und soziopolitischen Veränderungen mit großer Vorsicht zu beurteilen seien: „Die ‚Spätantike Kleine Eiszeit‘ passt aber erstaunlich gut mit den großen Umwälzungen jener Zeit zusammen.“ Die Untersuchung zeige beispielhaft, wie abrupte Klimaveränderungen bestehende politische Ordnungen verändern könnten. Die Erkenntnisse darüber, wie sich große Klimaumschwünge früher ausgewirkt haben, ließen sich dazu nutzen, Strategien im Umgang mit dem heutigen Klimawandel zu entwickeln.

Originalveröffentlichung:
Buentgen et. al, “Cooling and societal change during the Late Antique Little Ice Age from 536 to around 660 CE”. In: Nature Geoscience. DOI: 10.1038/NGEO2652


Kontakt:
Dr. Willy Tegel
Professur für Waldwachstum und Dendroökologie
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-8591
E-Mail: tegel@dendro.de

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